Die Hetze gegen Flüchtlinge und das Aggressionsverhalten nimmt zu. Einfühlungsvermögen und Mitgefühl gegenüber den Schwächsten, wie auch Menschen in Not, scheint in Deutschland nicht mehr zu existieren.
Wir führten mit dem Neurobiologen und Hirnforscher Prof. Dr. Gerald Hüther ein Interview und fragen nach den möglichen Ursachen.
Hounds & People: Mir fällt vor allem bei Facebook auf und ich bin international vernetzt, dass die aggressivsten und respektlosesten User Deutsche sind. Ist es nicht so, dass ein Mensch das weiter gibt, was er selbst erfährt und erlebte?
Prof. Gerald Hüther: Das würde dann heißen, dass die Angst in kaum einer anderen Gesellschaft oder Kultur so stark verbreitet ist wie bei uns. Die Anderen haben ja sogar einen speziellen Begriff dafür: German Angst.
Eine der einfachen Bewältigungsstrategien gegen das Gefühl von Angst und Verunsicherung ist der Versuch, alles möglichst perfekt zu kontrollieren.
Auch dafür sind wir im Ausland sehr bekannt: Deutscher Perfektionismus ist die Grundlage unserer wirtschaftlichen Erfolge und unseres Exportüberschusses. Manchen gehen wir mit unserem angst-getriebenen Perfektionismus aber auch ziemlich auf die Nerven.
Hounds & People: In Ihrem Buch ““ machen Sie darauf aufmerksam, dass sich Menschen wie Objekte behandeln. Ist dies eine der Ursachen?
Prof. Gerald Hüther: Ja, wer Angst hat und verunsichert ist und deshalb andere zu kontrollieren versucht, macht diese Anderen zwangsläufig zu Objekten seiner Erwartungen, Bewertungen, Absichten und Maßnahmen. Dann werden straffe Hierarchien mit klaren Zuständigkeiten gebildet, alles möglichst gut überwacht und geregelt, nicht nur beim Militär, auch in der Wirtschaft und Politik.
Jeder und Jede wird in einem solchen System zum Objekt, soll möglichst selbst wie eine Maschine funktionieren und bloß keine eigenen Ideen entwickeln oder gar selbstverantwortlich handeln.
Dann wird alles über Zuständigkeiten geregelt, solange, bis die gesamte Gesellschaft erstarrt und ihre Flexibilität, Kreativität und Entwicklungsfähigkeit verliert.
Genau da sind wir wahrscheinlich jetzt angekommen und wissen nun auch nicht mehr so recht weiter. Mit noch mehr Kontrolle und noch strafferen Hierarchien geht es jedenfalls nicht.
Das wissen wir Deutschen wahrscheinlich sogar besser als alle Anderen, die immer noch hoffen, sie könnten eine Mauer um sich herum bauen, um sich vor den Risiken der Begegnung mit dem Fremden zu schützen.
Hounds & People: Was ist los mit dieser Gesellschaft, der Empathie und Menschlichkeit verloren gegangen ist und wo sind die Ursachen hierfür?
Prof. Gerald Hüther: Wenn es stimmen sollte, dass sehr viele Menschen in unserer gegenwärtigen Welt sich sehr verunsichert fühlen und Angst davor haben, etwas zu verlieren, was sie für sehr wichtig halten, dann wäre es recht leicht zu erklären, dass es bei diesen Personen zu Verhaltensweisen kommt, die Umsicht, Respekt, Mitgefühl etc. vermissen lassen.
Das sind alles enorm komplexe Leistungen des menschlichen Gehirns, die im sog. Frontalhirn verankert sind. Wenn sich aber Verunsicherung und Angst ausbreiten, sind es genau diese hochkomplexen stark vernetzten Verschaltungen im Frontalhirn, die nicht mehr gut funktionieren.
Die mit Angst und Verunsicherung einhergehende Übertragung führt dazu, dass diese Verschaltungsmuster nicht mehr gezielt aktivierbar sind. Die betreffenden Personen reagieren dann, wie der Volksmund es nennt, kopflos.
Die Verhaltenssteuerung wird unter diesen Umständen von primitiveren, älteren, tiefer im Hirn liegenden und weniger störanfälligen Verschaltungsmustern übernommen. Die sind immer einfacher, robuster, tierischer könnte man sagen.
Schlimmstenfalls lenken sie das Verhalten einer stark verängstigten Person nur noch in drei Richtungen: Angriff, Flucht oder ohnmächtige Erstarrung.
Wenn das sehr vielen Menschen so geht, bleibt dann zwangsläufig alles auf der Strecke, was wir Empathiefähigkeit oder Menschlichkeit nennen.
Hounds & People: Wo sind die Spiegelneuronen die es Menschen ermöglichen sich in den anderen hineinzuversetzen?
Prof. Gerald Hüther: Die funktionieren eben auch nicht mehr, wenn eine Person verunsichert ist und Angst hat. Das lässt sich sogar bei Affen zeigen, bei denen diese Spiegelneurone erstmals gefunden und beschrieben worden sind.
Hounds & People: Wenn es keine Vorbilder in der Familie und der Gesellschaft mehr gibt, die Menschlichkeit und Mitgefühl vorleben, sind dies solche Folgen?
Prof. Gerald Hüther: Sicher ließe sich der ständige Rückfall in primitive Angstbewältigungsstrategien verringern, wenn wir und vor allem unsere Kinder die Erfahrung machen könnten, dass die Verunsicherung und die Angst verschwinden, wenn man über etwas mehr Wissen und etwas mehr Handlungsoptionen verfügt.
Oder wenn sich Menschen zusammen mit anderen auf den Weg machen, um ihre Probleme gemeinsam zu lösen.
Oder wenn man wenigstens eine gewisse Idee davon hat, wohin die Reise überhaupt gehen soll, wofür man sich also in seinem Leben einsetzen möchte.
Hounds & People: Eine Gesellschaft kann aber ohne Menschlichkeit und Mitgefühl nicht funktionieren. Wie soll sich dies ändern?
Prof. Gerald Hüther: Wenn eine Gesellschaft keine geeigneten Antworten findet, um die Angst und die Verunsicherung der Menschen zu mindern, wird sie wohl zwangsläufig zerfallen.
Wenn es aber gelingt, das Zusammenleben so zu verändern, dass sich die Menschen nicht länger als Objekte anderer oder gar als Opfer der Verhältnisse erleben, sondern als lustvolle Entdecker und Gestalter der Möglichkeiten, die ihr Zusammenleben bietet, wird sich auch all das wieder herausbilden und stärken, was uns als soziale Wesen ausmacht.
Hounds & People: Sie gründeten gerade die Akademie für Potentialentfaltung, mit welcher Aufgabe und welchem Ziel?
Prof. Gerald Hüther: Die Akademie für Potentialentfaltung in Gemeinschaften (www.potentialentfaltungsgemeinschaft.eu) ist als gemeinnützige Genossenschaft organisiert und verfolgt genau dieses Ziel: Herauszufinden, was alles möglich wird, wenn Menschen sich gemeinsam und ohne Angst auf den Weg machen.
Hounds & People: Herr Prof. Hüther, vielen Dank für dieses Interview.
Das Interview führte: Astrid Ebenhoch, Journalistin und Gründerin von Hounds & People.
Siehe auch:
- Gesunde Menschen besitzen Mitgefühl – warum andere nicht?
- Deutsche Betroffenheit wegen Hassmails gegen Flüchtlinge nur vorgetäuscht
- Ausschwitz und die Vergangenheit darf nie vergessen werden
- Rechtspopulismus und Nationalismus in Deutschland und Europa
- Seit Pegida Verdoppelung der Angriffe auf Ausländer
- Vielleicht sollten wir diese Chance auch anderen geben?
- “Netzplanet.net”: Vorsätzliche Volksverhetzung?
- Eigentlich ist uns nicht zum Lachen zu mute…
- Hunde und ihre Menschen – diskriminierte Minderheit in Deutschland
- Pegida: Wenn Misstände in Deutschland ignoriert werden
- Fakten über die Griechenland-Krise
- Europa unter der Herrschaft von Deutschland…
- Über die Wahrheit zur Krise in Griechenland…..
- Deutsche Springer Presse hetzt weiter gegen Griechenland
- Ist Anti-Amerikanismus eine Form von Rassismus?
- Wie eine demagogische Presse ein ganzes Volk schädigt ….
- Wo bleiben die Care-Pakete für Griechenland?
- Stimmung gegen 4-beinige Minderheiten
- Griechenland und Hunde – neue Sündenböcke in Deutschland?
- Deutschland: Es wird Zeit endlich zu reflektieren
Weitere Informationen zu diesem Thema: “German Angst – Die Angst vor Überfremdung”, eine Reportage von Micky Beisenherz. Ursache, fehlendes Wissen und Bildung.