Das System versagt in der Rechtswirklichkeit. ”Wenn ich in den letzten 30 Jahren Anlass hatte, den Glauben an die Justitz verloren zu haben, dann deswegen, weil ich mit unfassbaren “Bastelergebnissen” von Deutschen Richtern konfrontiert wurde, so Prof. Dr. Ulrich Sommer.
Der Grund für den Glauben an die Justiz der breiten Bevölkerung würde daran liegen, weil sie die Justiz nicht kennen, so der Strafrechtsprofessor Dr. Ulrich Sommer in seinem Vortrag.
Nachdem aber immer mehr Bürger Kontakt mit der Justiz hätten, verlieren diese nicht nur den Glauben an die Justiz, sondern auch an die Gewaltenteilung in Deutschland.
Der Fall Kachelmann ist kein Einzelfall, sondern in Deutschland inzwischen eher übliche Rechtswirklichkeit.
Vor allem, wie Prof. Dr. Ulrich Sommer in einem Vortrag ausführt, wenn Richter sich auf die Aussagen von Polizisten verlassen. Polizeibeamten seien die “Drehbuchautoren” für das was im Rechtssystem anschließend stattfinden würde. Denen grundsätzlich, auch bei nicht wahrheitsgemäßen Aussagen oder Wahrnehmungen, geglaubt wird – im Gegensatz zu den Aussagen der Bürger.
“Es gibt gute Polizisten – wir sehen das jeden Sonntag Abend im Fernsehen,” so Prof. Dr. Ulrich Sommer.
In der Rechtswirklichkeit bedeutet dies: Wenn ein Bürger auf seiner wahrheitsgemäßen Aussage vor einem Deutschen Gericht besteht, die entgegen der Aussage eines Polizisten steht, könnte das Gericht diese Aussage als Falschaussage werten und eine Strafanzeige gegen den Bürger einleiten – weil dem Polizisten und nicht dem Bürger geglaubt wird. Auch bei lächerlichen Bussgeldbescheiden, die auf Falschaussagen von Polizisten beruhen.
Ein Rechtssystem das nicht an Wahrheitsfindung, sondern an Sanktionierung interessiert ist.
Verstärkt wird dieses Vorgehen der Staatsanwälte und Richter, selbst bei Bagatellfällen, bereits jetzt, durch den Gesetzesentwurf von Justizminister Heiko Maas der Polizisten quasi einen “Freibrief” erteilt. Wodurch dem Bürger nicht nur jegliche Glaubwürdigkeit entzogen und abgesprochen wird, sondern auch eine Wahrheitsfindung nicht mehr möglich ist, woran offenbar auch kein Interesse besteht. Body-Cams, die in den USA und anderen Ländern eingesetzt werden, die einem Fehlverhalten der Polizei vorbeugen und der Wahrheitsfindung dienen würden, sieht dieser Gesetzesentwurf von Justizminister Heiko Maaas (SPD) ebenfalls nicht vor.
Die Praxis im Strafrecht und Rechtswirklichkeit bedeutet auch, dass dem Anzeigeerstatter, wie im Fall Kachelmann oder Mollath, immer geglaubt wird. In beiden Fällen stellte sich später heraus, dass dies Falschanschuldigungen, Straftatbestände nach § 164 StGb, waren. Inzwischen wird gegen die Falschanschuldigerin im Fall Kachelmann ermittelt.
Die Theorie und angewandte Praxis des Strafrechts und der Deutschen Justiz, sind inzwischen längst bekannt.
In der Rechtswirklichkeit werden Urteile gefällt, die auf Vermutungen, Klischees oder Vorurteilen beruhen, wie Prof. Sommer in seinem Vortrag ausführt.
Das falsche Entscheidungen, durch das Phänomen der Konformität und des Gruppendrucks gefällt werden, wie Wissenschaflter bewiesen haben, seien überall längst bekannt – nur nicht bei Deutschen Richtern.
Wie Wissenschaftler der Psychologie belegen, steige die Normbefolgung des Menschen markant an, wenn bei Entscheidungsfindungen nur die Möglichkeit einer Kontrolle durch Außenstehende beim Entscheider präsent sei – auch bei Richtern.
Nichts sei für das auf Trägheit programmierte Gehirn förderlicher als bereits Erlebtes und Entschiedenes – bedrohlicher seien Veränderungen, die letztlich neuronale Schwerstarbeit seien, so der Strafrechtsprofessor Dr. Ulrich Sommer.
Das System versagt in der Rechtswirklichkeit.
Ein Rechtssystem das nicht an Wahrheitsfindung, sondern an Sanktionierung interessiert ist. Es würden Sanktionsentscheidungen getroffen, ohne daran interessiert zu sein Fehler zu finden.
Anstatt mit einer Unschuldsvermutung, wie laut Strafgesetz vorgegeben, würden Richter Hauptverhandlungen mit einer Schuldvermutung beginnen, auch auf Primärbefragung der Rechtsanwälte könne man warten, so Prof. Dr. Ulrich Sommer.
Wenn Richter sich vehement gegen die Videoaufzeichnung der Gerichtsverhandlungen weigern, zeige dies auf wo die Ursprünge aktueller Probleme liegen würden. In Spanien sei dies kein Problem. Wenn dies in Spanien möglich sei, könne man sich über die Sensibilität Deutscher Richter Gedanken machen.
Die Rechtswirklichkeit änderte sich nach 1933 ohne, dass bestimmte “Korsettstangen” aus dem System in der Rechtssprechung herausgenommen wurden.
“Wenn jemand den Glauben an die Justiz verlieren kann, liebe Kollegen und Kolleginnen, dann sind wir es, die wir an diesen Prozessen der Rechtsfindung ganz nah dran sind.
Rechtsstaatlichkeit ist kein Zustand, sondern ein dynamischer Prozess, der jeden Tag in jedem Gerichtssaal neu bearbeitet und gefunden werden muss,”so Prof. Dr. Ulrich Sommer.
Deshalb sei es wichtig, dass Rechtsanwälte auch Aufklärung, Überzeugungsarbeit und Aufdeckungsarbeit leisten, um in der Rechtswirklichkeit Vorurteilen und Klischees entgegen zu treten – nach denen Urteile gefällt werden.
Prof. Dr. Ulrich Sommer ist Lehrbeauftragter der Universität Köln und hält Vorlesungen zum „Recht der Strafverteidigung“ und ausgewählten Problemen der Strafprozessordnung. Ein weiterer Schwerpunkt ist die europäische Menschenrechtskonvention und als einer der wenigen deutschen Strafverteidiger mit Menschenrechtsbeschwerden in Straßburg vertreten.
Zu diesem Thema ein Vortrag von Prof. Dr. Ulrich Sommer auf dem Herbstkolloquium 2014 der Arbeitsgemeinschaft Strafrecht im DAV im Video unten.
Astrid Ebenhoch ist Journalistin und Gründerin von Hounds & People
Update:
Gewaltenteilung und unabhängige Justiz in Deutschland?
Tagesspiegel: Wenn sich Richter gut verkaufen
Siehe auch:
- Organisierter Natonalismus und Rechtspopulismus
- Springer Verlag wird verurteilt: 635.000 € Schadensersatz an Kachelmann
- Gustl Mollath wird frei gelassen
- Kachelmann verklagt Bild, Bunte, Focus auf 3,25 Mio Euro
- Niederlage von Alice Schwarzer gegen Jörg Kachelmann
- Jörg Kachelmann gibt Interviev bei RTL Luxemburg
- Die Sensationspresse und der Freispruch von Christian Wulff
- OLG Köln verbietet “BUNTE” falsche Behauptung über Kachelmann
- Über das Versagen der deutschen Presse
Die Rechtswirklichkeit der Hauptverhandlung