Wer nicht in der Lage ist, ein großes Publikum mit klaren Aussagen zu erreichen, ist ganz einfach ein schlechter Autor.
Ich war ein wenig besorgt, als ich einen Artikel in der New York Times über deutsches Fernsehen sah: Ist die Times überhaupt in der Lage, so etwas Kompliziertes und Differenziertes richtig zu würdigen?
Aber ja! Die Times hat genauso darüber berichtet, wie die deutschen Medien darüber schreiben: Nämlich, mit Häme und Spott. Sie stürzte sich auf Wetten, dass ..? und auf andere Programme wie ein Löwe auf einen nassen Lappen.
Für die Deutschen ist das natürlich alles nichts Neues. Als Journalist habe ich rund 15 Jahre lang für Medienfachzeitschriften über die deutsche Film- und TV-Branche berichten dürfen, und da hatte ich eine Menge mit TV-Machern zu tun, die allesamt die gleiche verzweifelte Klage von sich gaben: “Warum können die Amis das und wir nicht?”
Die TV-Branche macht aus potenziellen Popkünstlern verängstigte kleine Beamte
Gemeint ist gehobene – ach was, einfach gelungene – Unterhaltung: Manchmal hirnrissig, aber immer wieder mitreißend, professionell, interessant, neu, intelligent, anspruchsvoll, schräg.
TV-Serien wie Breaking Bad oder Homeland stellen alles in den Schatten, was Deutschland zu bieten hat.
Verzeihen Sie, wenn ich leidenschaftlich oder gar empört klinge: 15 Jahre lang musste ich zusehen, wie höchst motivierte und kreative junge Menschen mit Begeisterung und großen Plänen in die deutsche TV-Branche einsteigen und schon ein paar Jahre später wie Bettvorleger landen: Die TV-Branche macht aus potenziell großen Popkünstlern verängstigte kleine Beamte.
Aber Schwamm drüber. Die Frage, die mich nicht losließ, war: Wieso können die Amis das denn nun und die Deutschen nicht? Unser Geheimnis: Wir Amis sind halt blöd.
Um in einem großen Land wie Amerika Erfolg zu haben, muss man unheimlich gebildet sein. Aber um Freunde zu gewinnen, darf man es bloß nicht raushängen lassen.
Wahrscheinlich der kreativste Aspekt der amerikanischen Unterhaltungskultur ist nämlich das, was wir Anti-Intellektualismus nennen. Dieser hängt mit dem Urknall unserer We-the-people-Kultur zusammen, der Auflehnung gegen das adelige Europa.
Ab der gelungenen Revolution 1776 entstand ein leidenschaftlicher Hass auf alles, was als elitär empfunden wurde: übertriebene Tischmanieren (hallo Hamburger), britischer Akzent (heute noch punktet jeder Klassenclown, der die versnobte Briten nachäffen kann), jegliche Pietät gegenüber den höheren Klassen und der Elitenkultur.
Wenn einer gern große Wörter oder lange Sätze benutzt, will er wohl nur davon ablenken, dass er in Wirklichkeit nichts zu sagen hat.
Das ist der Grund, warum der arme Farmer in Kansas den Republikanern mehr traut als den gebildeten Demokraten. Während die Europäer sich immer beklagen, dass ihre Politiker doof sind, ist das für uns kein Problem. Im Gegenteil: Es gibt Politiker, die verschweigen, dass sie in Harvard waren.
Das ist das Paradoxon: Um in einem großen Land wie Amerika Erfolg zu haben, muss man unheimlich gebildet sein. Aber um Freunde zu gewinnen, darf man es bloß nicht raushängen lassen.
Wer nicht in der Lage ist, ein großes Publikum mit klaren Aussagen zu erreichen, ist ganz einfach ein schlechter Autor.
Das durchzieht unsere ganze Kultur. Stimmt, einige der besten Opernhäuser, Museen und Unis der Welt findet man in Amerika, aber wenn ein Intellektueller nicht in der Lage ist, zu sagen: “Ich ertrage schon einiges, aber Isoldes Liebestodkönnte schon etwas kürzer sein – um etwa eine Stunde”, ist er für uns ein Angeber.
Wir haben auch schön exaltierte Intellektuelle wie Noam Chomsky und Thomas Pynchon, aber allgemein wird Literatur eher als Kommunikation begriffen: Wer nicht in der Lage ist, ein großes Publikum mit klaren Aussagen zu erreichen, ist ganz einfach ein schlechter Autor.
Selbst unsere großen Intellektuellen verdanken ihren Erfolg diesem Rezept: Hemingway war deswegen so erfolgreich, weil er eine ganz eigene Art zu schreiben erfand: mit wenigen, einfachen Wörtern und ohne jeden Schnickschnack. Mit diesem grundlegenden Prinzip des Anti-Intellektualismus wurde er zum Intellektuellen.
Auch Mark Twain glaubte fest an Unterhaltung als Kommunikation, im Vorwort zu Huckleberry Finn schreibt er: “Wer in dieser Geschichte eine Absicht zu entdecken sucht, wird rechtlich verfolgt; wer eine Moral sucht, wird des Landes verwiesen; wer versucht, darin eine Handlung zu finden, wird erschossen.”
Anti-Intellektualismus ist das, was die amerikanische Popkultur groß macht:
Anstatt Kunst für Kunstkenner machen zu wollen, will, liebt, glaubt der Amerikaner an verständliche Unterhaltung für die Massen und erhebt damit Unterhaltungskultur zu einem höchst effektiven, höchst intelligenten, politischen und gesamtgesellschaftlichen Dialog: Ein Lied von Bruce Springsteen oder ein Fleischkleid von Lady Gaga haben mehr politische Wucht als das gesamte Œuvre eines Mozarts.
Selbst in einer einfachen Comic-Book-Verfilmung wie The Avengers findet man einen effektiven Spiegel der Gesellschaft: Immer wieder wird Captain America, der in den 1940ern eingefroren und in unserer Zeit wieder als Held aufgetaut wurde, aufgezogen, weil er noch so ein naiver Patriot ist: Weiß er denn nicht, dass Amerika längst nicht mehr das ist, was es mal war?
Interessanterweise wurde gerade The Avengers wohlwollend mit dem Spielberg-Film Lincoln verglichen, weil beide analog zur aktuellen politischen Lage Amerikas ein Team von unverbesserlichen Streithähnen zeigen, die trotzdem zum Erfolg kommen.
Warum können deutsche Filmemacher weder einen Lincoln noch einen Avengers produzieren, obwohl ihnen das Geld, das Talent und die entsprechenden Themen zu Verfügung stehen?
ARD und ZDF steht mit einem Etat von 7,5 Milliarden Euro im Jahr mehr Geld zu Verfügung als jedem anderen öffentlich-rechtlichen Sendeanstalt der Welt, BBC eingeschlossen.
Die Antwort: Sie trauen sich nicht zu, Anti-Intellektuelle zu sein.
Deutsche TV-Macher erstarren vor dem Gebot der “anspruchsvollen Kultur”: Sie würden sich schämen, wenn sie wirklich an ihre eigenen Pop-Produkte glauben könnten.
Tief im Herzen halten sie U-Kultur für minderwertig und produzieren daher achselzuckend eben auch minderwertiges Zeugs.
Die krankhafte, nekrophile Verehrung einer elitären Kultur der feudalen Vergangenheit, deren Niveau sowieso als unerreichbar gilt, erstickt jeglichen Lebensgeist.
Der Unterschied zwischen amerikanischer und deutscher Kultur?
Wir Amis sind blöd, aber wir haben Spaß dabei. Die Deutschen sind zu intelligent, um Spaß zu haben.
Eric T. Hansen ist Amerikaner, Buchautor, Journalist und Satiriker, lebt sein halbes Leben in Deutschland und heute in Berlin. Seine Bücher: ) oder
Siehe auch:
- Henryk M. Broder und die Mainstream-Medien
- Oscar Verleihung 2013 – peinlich für Deutschland
- In Deutschland unbekannt: “Ich weiß, dass ich nichts weiß”
- Geringe Risikobereitschaft und Innovation in Deutschland und Europa
- Transatlantisches Freihandelsabkommen: “Bye bye, american way of life”
- Deutschland schaufelt sich das eigene Grab
- Rechtspopulismus und Nationalismus in Deutschland und Europa
Spaß hat man in den USA auch noch mit 89 ….