Sonntag, 13. März 2016 – Heute am frühen Nachmittag bin ich mit Anna Distelzwerger zum Flüchtlingslager Idomeni gefahren, um bei der vor Ort tätigen UNHCR die Formulare für einen Asylantrag für die Mutter des herzkranken Buben zu holen, plus die Formulare zum Antrag auf Familienzusammenführung, sitzt ja der Vater der zwei Buben in Österreich. Andrea Roschek hat derweil mit der Flüchtlingsmutter die Kinderhüterei geteilt, was der Mutter einmal etwas Entspannung brachte.
Auf dem Weg nach Idomeni kamen wir an einem improvisierten Flüchtlingslager vorbei, das an einer in Betrieb befindlichen Tankstelle errichtet wurde. Etwa 400 bis 500 Menschen fanden dort beim hilfbereiten Tankstellenbesitzer Unterschlupf, durften dort ihre Zelte aufschlagen und dürfen auch sein kleines Imbissrestaurant benutzen, das vorwiegend von den Müttern mit den kleinen Kindern und Babies frequentiert wird. Ist es dort warm, hat eine Sitzgelegenheit und die Benutzung der Sanitäranlagen ist ebenfalls möglich.
Vorbeugend, bevor ihm die Flüchtlingskinder sämtliche für den Verkauf gedachten Süßigkeiten wegfuttern, hat er rund um den Kassentresen kleine Kisten drapiert, wo sich die KInder an Leckereien zur freien Entnahme erfreuen können. Belegte Sandwiches gibt es zum Einheitspreis von € 1.- und seine zwei Angestellten sind ständig am Semmeln und Brote schmieren. Dieses Tankstellen-Flüchtlingslager wird von den Ärzten ohne Grenzen betreut, nicht nur medizinisch sondern auch logistisch.
Tankstelle der Hoffnung
Und auch da zeigt sich Griechenland von einer besonderen Seite. Ein Lagerfeuer in der Nähe von Zapfsäulen, ca. 50 Meter Entfernung, das wäre in Österreich undenkbar. Flüchtlinge im Schnellrestaurant die ihre KInder vor der Kälte dort schützen, in Österreich undenkbar. Belegte Brote, Kakao für die Kinder und Kaffe ausschließlich zum Einheitspreis von €1.-, in Österreich undenkbar. Und das Beste ist, die Tankstelle hält ihren Betrieb völlig normal aufrecht, Autos fahren heran und tanken so als wäre die Situation völlig normal.
Kurz vor Idomeni, nahe der Grenze zu Montenegro, dem größten Flüchtlingslager, sahen wir eine zweite Tankstelle die ebenfalls zum improvisierten Füchtlingslager wurde.
Idomeni – Espandrillos im Regen
Auf der Zufahrtstrasse zum Lager Idomeni standen drei Reisebusse, einer voll besetzt mit Flüchtlingen zur Abfahrt bereit, die anderen beiden Busse leer. Als wir im Schnecktempo die Straße entlang fuhren, umringten uns sofort Flüchtline, spärlich bekleidet und nur durch eine Regenpellerine vor dem einsetzenden Starkregen geschützt und manche trugen Espandrillos, ein Fußkleid das eher für den Hochsommer gedacht ist.
Innerhalb von wenigen Minuten war unser Wagen umringt, Flüchtlinge klopften an die Scheiben, ersuchten um Zelte, um Schlafsäcke und Nahrung. Wir bogen dann in eine kleine Seitenstraße ein in der Hoffnung mehr Platz zum Verteilen der mtgebrachten Spendengüter zu finden. Ich stieg aus, öffne die die beiden Ladetüren des Autos und sofort stürmten 10 bis 15 Flüchtlinge den Laderaum und leerten, ohne zu wissen was in den Kartons oder Plastiksäcken ist, binnen Minuten unser Fahrzeug.
Unser kleiner Lieferwagen wippte und schaukelte bedenklich, die Hintertüren wurden über den Dehnungpunkt hinausgedrückt und ja, die Stimmung war für einen Augenblick lang extrem aggressiv. Plötzlich das Aufheulen einer Polizeisirene, vor unserem Lieferwagen stand ein Polizeijeep und konnte nicht passieren. Zwei Minuten später auch hinter dem Lieferwagen ein zweites Polizeifahrzeug, ebenfalls die Sirene kurz aufheulen lassend, aus dem ein Polizeioffizier ausstieg und auf mich zukam. Er fragte mich, warum wir den Flüchtlingen Spenden bringen, ob wir den wahnsinnig seien und wir sollten sofort Idomeni verlassen. Auf meine Nachfrage was den so verwerflich an einer Spendenlieferung ist, meinte er, dass nun die UNHCR die Versorgung langsam herunterfahre, damit die Flüchtlinge sich endlich überzeugen lassen die bereit gestellten Busse zu besteigen um in Lager gebracht zu werden wo sie professioneller versorgt werden können.
Die Flüchtlinge wollen es sosehr nicht wissen.
Der Hintergrund dieses Vorgehens ist nicht gleich zu erkennen. Idomeni ist auf die Dauer, schon gar nicht bei diesen Witterungsbedingungen, zu halten. Weder eine vernünftige sanitäre Infrastrutur für 12.000 Menschen kann dort errichtet werden, noch kann man dort improvisierte Wohnmöglichkeiten einrichten, auch nicht temporär.
Die griechische Politik hat nun zwei Möglichkeiten, entweder mit staatlicher Gewalt das Lager räumen zu lassen oder die Flüchtlinge mit “sanftem Druck” durch Versorgungsentzug zum Verlassen von Idomeni zu bewegen. Beide Überzeugungsvarianten sind schlecht, die mit der staatlichen Gewalt noch schlechter …
Dass noch immer so viele Flüchtlinge in Idomeni ausharren, hängt mit der nach wie vor bestehenden Hoffnung zusammen, dass sie doch noch die Grenze passieren können und eines Tages Deutschland, Österreich, Schweden oder Großbritannien erreichen. Es ist für die Flüchtlinge einfach nicht begreifbar, dass sie an der Flucht behindert werden, aufgehalten werden und wollen es einfach nicht wahrhaben, dass die Grenzen geschlossen sind, es kein Durchkommen mehr gibt.
Griechenland wird nun dafür von den Flüchtlingen für ihre Situation verantwortlich gemacht und von der halben EU beschimpft. Griechenland kann diese Situation nicht alleine bewältigen, befindet sich das Land in einer extrem Wirtschaftskrise mit hoher Arbeitslosigkeit, von Flüchtlingsströmen immer wieder betroffen, seit dem ersten Irakkrieg gibt es Flüchtlinge in Griechenland und nun werden es immer mehr die in den Inselstaat kommen.
Idomeni muss geräumt werden. Ja, ich sage muss!
Denn so dürfen Menschen nicht leben, denn das ist kein menschenwürdiges Leben. Die Flüchtlinge “dürfen” nicht mehr darauf hoffen, dass doch noch die Grenzbalken hochgehen für sie. Es ist eine schreckliche menschliche Tragödie die sich da abspielt, ein für die Flüchtlinge seelisches Drama, wo die blanke Verzweiflung, die Hilflosigkeit, die Ohnmacht manchmal zur aufflackernden Aggression wird. Wer kann es ihnen verdenken. Auch ich würde fürchterlich wütend werden, wenn man mein Leben sosehr quält, das meiner Kinder und Frau. Ja, Idomeni ist eine sadistische Quälerei – so hält man einfach nicht Menschen. Und die Griechen können nichts dafür, sie tun wirklich alles Menschenmögliche um es den Flüchtlingen erträglicher zu machen.
Die österreichische Politik, massgeblich für die humanitäre Katastrophe in Idomeni mitverantwortlich, diese Politik ist blanker zynischer Sadismus der mich an die Menschenverachtung während der NS-Zeit erinnert.
Onze directeur Tineke Ceelen is in #Idomeni: “Duizenden mensen gevlucht voor oorlog en geweld in de modder. Dit is een schandvlek voor Europa”. Kijk, huiver en help www.vluchteling.nl
Posted by on Donnerstag, 10. März 2016
Montag, 14. März 2016 – Das Erstemal habe ich völlig verschlafen und komm’ zum Meeting mit “Helping Hands” heillos zu spät.
Ich sitze in meinem kleinen, wunderschönen, typisch griechischen Hotel im Frühstücksraum. Draussen Gewitter mit Starkregen, dicke Tropfen klatschen an die Fensterscheiben. 63 km weiter weg sitzen Menschen in ihren kalten, feuchten und oft undichten Zelten, mit kaum Nahrung und keiner Gelegenheit sich zu reinigen.
Mir ist mein morgendliches Wohlbehagen peinlich.
Ich habe beschlossen nur mehr in Schwarz/Weiss zu fotografieren, so wie James Nachtwey – schwarzweiss regt zum selbstständigen Denken an. Sollen sich die Betrachter anstrengen und die Farbe dazu denken – das Bild muss im Kopf entstehen.
So, drei Tassen Kaffee, drei Zigaretten gebraucht um munter zu werden und nun rein in den regnerischen Tag.
Meine Grossmutter hat mir, als ich noch ein Kind war, an so fürchterlichen Starkregentagen mit Gewitter gesagt, “heute weint aber G-tt wieder fürchterlich ob der Menschheit. Seine Tränen sind besonders dick.”
Als Metapher lasse ich das gelten, Oma. Tränen reinigen die Augen, man sieht danach besser, als Witterungsbedingung für Flüchtlinge allerdings nicht.
Nachmittag – Den Flüchtlingen reichts, die machen sich auf den Weg und überqueren die Grenze, ein massives Polizeiaufgebot begleitet sie. Ich mach mich heute Nacht auf den Weg “Walking with the Refugees”.
Klaus Kufner, Journalist aus Österreich, berichtet aus Idomeni in Griechenland.
Siehe auch: Der Reichtum der Armen