Natürlich war ich gegen die Initiative. In der Geschichte der Firma, die ich zwischen 1990 und 2012 geleitet habe, war ich seit jeher auf eine liberale Ausländer- und Einwanderungspolitik angewiesen.Die Firma wurde so gross, weil ich Deutsche und Österreicher in grosser Zahl beschäftigen durfte.
Vor den Freizügigkeitszeiten musste jede Stelle durch eine kantonale Ausländerbehörde einzeln bewilligt werden. Das ist im Falle meiner Firma immer gelungen, nie wurde eines meiner Gesuche abgelehnt.
Die Bevölkerungszahl der Schweiz ist durch diese liberale Ausländerpolitik schon vor der Freizügigkeitsregelung mit der EU explodiert.
In der Schule habe ich noch gelernt, dass die Schweiz 6 Millionen Einwohner hat. Heute sind es 8 Millionen Einwohner.
Der Ausländeranteil liegt heute bei nahe 25 Prozent und ist dreimal höher als der in Deutschland. Dennoch ist die Integration von Ausländern in der Vergangenheit problemlos verlaufen.
Wie überall gibt es vor allem die älteren Leute, die irgendwas an den „huere Usländer“ auszusetzen haben, aber in der Schweiz gab es bisher noch keinen ausländerfeindlichen Mord, keine Bahnhöfe auf dem Land sind am Samstag Abend durch Glatzen besetzt, so dass man tunlichst den Nebeneingang benutzt und für den schwärzesten Afrikaner ist die Schweiz in Stadt und Land, Berg und Tal zu jeder Zeit ein Ort, an dem er sicher ist. Häuser mit Asylbewerbern werden zwar nicht geliebt, aber respektiert. Jeder Ausländer im Land kann sich sicher fühlen.
Das ist für sich ein hohes Gut, dass die physische Integrität aller Menschen in einem Land unabhängig von ihrer Hautfarbe und Nationalität unantastbar ist. Das ist, zurückhaltend formuliert, nicht in allen Ländern der EU so http://www.tagesspiegel.de/politik/todesopfer-rechter-gewalt/.
Die Schweiz hat prozentual in einem Ausmass Ausländer integriert, wie es sonst nur klassische Einwanderungsländer wie die USA oder Kanada tun.
In der Schweiz herrscht dennoch de facto Vollbeschäftigung, das Land ist eine Jobmaschine. Ein Grund dafür, dass die EU-Nachbarländer auf die Schweiz einerseits froh sind, um die eigene elende Arbeitslosenbilanz zu schönen, andererseits immer besonders stinkig sind über die grosse Attraktivität dieser Jobmaschine gerade für hochqualifizierte EU-Ausländer. In den besten Jahren kamen gegen 30 000 Deutsche in die Schweiz, viele hochgebildet, hochmotiviert und ein Verlust für ihr Heimatland.
Die grosse Attraktivität der Schweiz hat ihren Grund.
Ich habe in meinem Leben diverse Länder erlebt, auch als Steuerzahler, und im Rückblick kommt die Schweiz dem sehr nahe, was ich als perfektes Land ansehen würde. Es gibt – im Gegensatz zu anderen Ländern, ohne Namen zu nennen – generell kein Misstrauen zwischen Behörden und Bevölkerung.
Auch durch die weitgehende Abschaffung des Beamtenstatus sehen sich die administrativ Tätigen als Dienstleister für die Bevölkerung und Unternehmen. Der Umgangston im Land ist generell freundlich. Der brüllende Chef ist etwas, was als zutiefst unschweizerisch gilt und früher oder später zu einer Ablösung durch einen Menschen mit mehr Herzensbildung führen wird.
Eine Masseneinwanderung von deutschen Ärzten und Krankenschwestern ist der Tatsache zu verdanken, dass es in der Schweiz auch in klassischen hierarchischen Strukturen wie im Gefälle Chefarzt-Krankenschwester jederzeit respektvoll und freundlich zu- und hergeht.
Zudem werden in der Schweiz Arbeitskräfte, die in anderen Ländern zu grotesk tiefen Gehältern ausgebeutet werden, anständig bezahlt.
Das gilt auch für Pflegeberufe und für Anstellungen in der Gastronomie, wie dieser Gesamtarbeitsvertrag zeigt Gastrosuisse – Gastgewerbliche Löhne. Einer der Gründe, warum die Dinge bei McDonalds und überhaupt in der Schweiz mehr kosten als anderswo.
Eine Hochlohnpolitik führt konsequenterweise zu einer Hochpreissituation, die mir persönlich lieber ist als die Situation in einem Land, in dem Menschen manchmal nicht mal 5 Euro in der Stunde arbeiten und dafür Lebensmittel fast nichts kosten, was wiederum die Landwirtschaft in Probleme bringt und die Wahrscheinlichkeit für Lebensmittelskandale aller Art erhöhen muss.
Kurzum, paradiesische Zustände in der Schweiz für den geplagten europäischen Menschen und die Volkasabstimmung mit den Füssen hat durch die riesige Zuwanderung aus den EU-Ländern keine Zweifel erlaubt. Die Schweizerinnen und Schweizer haben in der Folge festgestellt, dass diese Immigranten anders sind als die, die sie von früher kannten.
Wollten die Italiener, Jugoslawen, Tschechoslowaken und die Menschen aus Sri Lanka der ersten Generation die eingeborenen Schweizer im Schweizerischsein rechts überholen und den Müllsack zum noch perfekteren Zeitpunkt an die Strasse stellen, waren diese dennoch und zunächst keine Konkurrenz, wenn es darum ging, die hochpreisigeren Wohnungen zu mieten und besseren Ferienchalets zu kaufen. Viele hatten erst mal kein Auto, sondern ein Töffli oder nahmen des Bus.
Der Schweiz war der gigantische Erfolg ihres Landes nie richtig bewusst.
Die Älteren dachten, dass es an und für sich etwas Tolles ist, einen roten Pass mit einem weissen Kreuz zu haben und vermuteten seit jeher zu Unrecht, dass die Schweiz mit grossen Sozialleistungen aufwarte und die huere Usländer nur deshalb kämen, um möglichst schnell „armegnössig“ zu werden.
Aber es kamen nicht mehr wie früher die Armen, es kommen jetzt die Jungen, Dynamischen und Leistungsbereiten. Sie haben Geld für Wohnungen, Häuser, Autos und benutzen eine Infrastruktur, die vielleicht für 7 Millionen Menschen ausgelegt war, aber jetzt bei 8 Millionen aus allen Nähten platzt.
Es ist eine Qualität des Schweizer Charakters, dass es angesichts der Stausituation rund um Zürich trotz der zuhause bereitliegenden Armeewaffen zu keinen Ausbrüchen von „road rage“ kommt. Auch haben sich viele Menschen daran gewöhnen müssen, morgens und abends in Pendlerzügen zu stehen. Autobahnen können nicht verbreitert werden, Bahnlinien nicht neu gebaut – wer sich das Schweizer Mittelland oder den Zürichsee auf google earth ansieht, erkennt warum: Es ist kein Platz da.
Den Schweizern ist auch wichtig, dass nicht die letzte Wiese, der letzte Baum gerodet, damit das Land möglichst voll wird.
Es ist zu Recht immer noch so, dass Landwirtschaftsbetriebe in den Bergen mit wunderbarer Aussicht, Chüeli und Seeli nicht an russischen Milliardäre, sondern weiter nur an Bauern verkauft werden können.
So hat sich in den letzten Jahren in den urbanen und suburbanen Gebieten ein Gefühl des Beengtseins ausgebreitet, in der Wissenschaft auch Dichtestress genannt. Ich habe 1984 bis 1990 in Zürich und im Zürcher Umland gelebt, ab 1990 auf dem Land, für zweieinhalb Jahre auch auf einem 40 Hektar grossen Grundstück im kanadischen Niemandsland.
Jetzt, seit 2011 lebe ich wieder am Zürichsee und kann Ihnen versichern: Mein lieber Herr Gesangsverein! Eine Fahrt zu meiner Mutter in den Norden der Schweiz ist zeitlich völlig unberechenbar geworden, wenn Sie nicht mitten in der Nacht fahren. Das kann eine Stunde, kann aber auch zweieinhalb Stunden dauern. Durch die Stadt oder Nordumfahrung ist eine der zentralen Besprechungspunkte in Schweizer Haushalten geworden. S schläckt kä Geiss ewäg, keine Ziege leckt die Tatsache weg: Das Land ist tierisch voll und meine Mutter hat keine Planungssicherheit mehr, wann sie das Mittagessen aufsetzen kann.
Wie schon oben erwähnt, dieser Immigrationsschub führt im Gegensatz zu anderen Ländern nicht dazu, dass Ausländer in der Schweiz (Anteil: 25 Prozent – zum Vergleich, Land Brandenburg: 2,6 Prozent) angegriffen oder angepöbelt würden.
Die neuen Ausländer sind nicht mehr still und wollen irgendwann Schweizer werden, sie sind jung, selbstbewusst (auch laut) und sehen sich als europäische Bürger und nicht in der Schule des Lebens, um später Schweizer zu werden. Viele Immigranten aus den EU-Ländern sind sich gar nicht bewusst oder interessieren sich nicht dafür, dass sie in ein Land mit einer eigenen Kultur und einem genuinen Nationalstolz auswandern.
Bereiten sich nicht vor, wie sie es für andere Länder tun, dabei würde es sehr helfen, zum Beispiel dieses Buch zu lesen. Viele EU-Immigranten glauben auch die lustigen Statistiken aus den Zeitungen in ihrem Herkunftsland, dass ihr Heimatland „in Europa“ wirtschaftlich gut dastehe und in irgendwas führend sei und verhalten sich entsprechend nassforsch. Diese Statistiken sind alle insofern falsch, indem die die Schweiz nicht erfasst wird, die die Zahlen des jeweiligen EU-Landes alt aussehen liesse.
Die Art und Weise, wie sich die Schweizer in der vergangenen und aktuellen Steuerdiskussion durch die Regierungen der Herkunftsländer der EU-Immigranten behandelt sahen, hat viele Schweizer verletzt.
Es ist der Blutrausch von Ländern, in denen sich Behörden nicht wie in der Schweiz als Partner und Freunde von Steuerzahlern sehen.
Ich habe eine Firma in Deutschland gegründet und erlebt, welch erhebliche Lust und Freude an der Macht es den Leuten bereitet, eine Betriebsprüfung durchzuführen – wie oft habe ich von anderen Unternehmern gehört, wie sie künstlich irgendetwas Komisches in die Unterlagen einbauen, damit der prüfende Beamte irgendetwas findet und so für sein Ego und seine Vorgesetzten einen Erfolg verbuchen kann.
Tut man das nicht, wird er den Betrieb solange quälen und ihm Zeit stehlen, bis man endlich die Regeln des deutschen Steuerwesens verstanden hat. Einen trefflichen Einblick in die Furchtbarkeit dessen, was deutsche Beamte denken und wozu sie immer noch fähig sind, gab die Aufführung der früheren Staatsanwältin Lichtinghagen, die stolz erzählte, wie sie angebliche Steuerhinterzieher im Knast weichgekocht hat. Sie wurde Gott sei Dank durch Minister Schäuble an Recht und Gesetz erinnert, sonst scheint das niemanden gestört zu haben. In der Schweiz wäre sie sehr bald auch keine Amtsrichterin für Verkehrsangelegenheiten mehr.
Die Schweiz ist nicht schuld daran und kann nicht nachvollziehen, dass in den EU-Ländern des Steuerrausches nicht Friede, Freude und Eierkuchen, sondern Misstrauen zwischen Steuergeld-Empfängern und –Zahlern herrscht.
In der Schweiz gehen Bund, Kantone und Gemeinden erst mal davon aus, dass sie ehrliche Bürger vor sich haben. Es gibt für Unternehmen keine regelmässigen Steuerprüfungen. Die Behörden gucken sich die Grösse des Betriebes an; wenn es nur einigermassen sein kann, was in der Steuererklärung drinsteht, wird die Steuererklärung durchgewinkt.
Wenn ich als Betrieb mal ein Wellental habe, spreche ich mit meinem zuständigen Steuermenschen beim Kanton und frage ihn, wie man das hinbekommt, dass man diesen Jahr lieber wenig bis keine Steuern zahlt, aber nächstes Jahr dann schon. Und der Steuermensch beim Kanton fragt sich, was ihm wichtiger ist, das bitzli Gewerbesteuer oder 50 zufriedene Einwohner, die Einkommenssteuer zahlen und kommt zum richtigen Ergebnis – die Stärke der mittelständischen Unternehmen in der Schweiz rührt auch daher, dass sie in ihren Kinder- und Jugendtagen gehätschelt und geliebt wurden und Schweizer Behörden alles dafür tun, dass sie froh bleiben.
Dieses Vertrauen der Steuerbehörden in der Schweiz geniesst auch der einzelne Bürger.
Wer jemals einen deutschen Bewirtungsbeleg ausgefüllt hat weiss, dass der durchschnittliche deutsche Steuerbeamte denkt, dass die Leute da draussen ihn bescheissen wollen und er sie nur noch überführen muss. In der Schweiz wird im Gegenteil angenommen, dass alle ehrlich sind. Eine Steuerbelastung, die meistens irgendwo zwischen 14 (merci, Wollerau) und 25 Prozent liegt, wird durch die Bürger verstanden und getragen, zumal sie auch durch die Steuerbehörden verständnisvoll und freundlich behandelt werden.
In vielen EU-Ländern heisst die self-fulfilling prophecy: Wir sehen erst mal alle als potentielle Verbrecher und behandeln sie so und fühlen uns am Ende bestätigt, weil es so viele sind.
Die Lust am Steuerhinterziehen in Deutschland wäre auf eine kleine radikale Minderheit reduziert, würde sich irgendein deutsche Politiker mal bemühen, von der Schweiz lernen zu wollen, anstatt wie Steinbrück mit der Kavallerie in sie einreiten zu wollen.
Der Furor der EU-Steuerbeamten rührt auch daher, dass sie sich ihrer Sache sicher sein können: Es ist nicht nur bei den Steuern eine deutsche Eigenart, sich unter einem Joch nicht aufzulehnen oder sich zu fragen, ob es so schwer sein muss, sondern sicherzustellen, dass auch ja niemand entwischen kann und kollektiv stolz zu sein, dass man es aushält und komplett auszurasten, wenn jemand entwischt. Für einen Schweizer rätselhaft, wie die deutsche Lust zustande kommt, riesige Mengen von Steuern zu zahlen, darauf total stolz zu sein, sich nicht zu fragen, warum es in anderen Ländern viel weniger ist und ernsthaft zu glauben, dass das in der Schweiz was mit den Banken (3% des Bruttoinlandprodukts) zu tun hätte.
Die Schweizer haben all die demütigenden Aussagen auch deutscher Politiker, die unser Land in die Nähe von Schurkenstaaten gerückt haben, nicht vergessen.
Für die EU war und ist die Schweiz ganz praktisch, weil wir durch unseren Job-Boom Arbeitslosenstatistiken in EU-Ländern schönen und unseren Jobboom viele schöne EU-Produkte kaufen können. Das Abstimmungsergebnis des letzten Sonntags hat die Schweiz etwas näher zu den Ländern gebracht, die seit jeher ihre Immigration strategisch steuern wie Kanada, Australien oder Neuseeland. Das Abstimmungsergebnis ist zu respektieren, auch wenn es (auch mich) anstrengt und auch der Schweiz am Ende Nachteile bringt.
Die Schweiz ist kein ausländerfeindliches Land.
Vor Jahren hat sie eine Deckelung des Ausländeranteils auf 18 Prozent mit Zweidrittelmehrheit abgelehnt. Ich möchte nicht wissen, wie eine solche Volksabstimmung in Deutschland mit ganz anderen Prozentzahlen als Vorgabe ausgehen würde. Es ist wohlfeil, sich hinter den Abgeordneten zu verstecken, die grosse Sorge vor direkter Demokratie in Deutschland haben, weil der Sympathisanten-Sumpf der NPD doch etwas tiefer sein könnte als gewünscht.
Die EU hat sich durch ihren respektlosen Umgang mit der Schweiz dieses Abstimmungsergebnis selbst zuzuschreiben. Das Votum richtet sich nicht gegen Italiener, Türken, Serben, Kroaten, Afrikaner und Asiaten. Es ist nur etwas voll geworden und vor allem die Bergkantone haben sich vorgestellt, dass es mit einer 10-Millionen-Schweiz am Ende bei ihnen so aussieht wie in Zürich.
Und das Ergebnis ist ein Protest dagegen, wie man uns in den letzten Jahren behandelt hat. Wenn nun die EU ganz böse wird und uns ganz furchtbar findet, werden wir das aushalten. Was die US-Diplomatin Victoria Nurland zur EU gesagt hat, kann man auch auf schweizerdeutsch sagen.
Jörg Kachelmann ist Meteorologie und ehemaliger Fersehmoderator