Es gibt Menschen der Zeitgeschichte, die man irgendwo im Unterbewusstsein immer für unsterblich hält. Muhammad Ali, der Mann, der sich sogar seinen Namen selbst gegeben hat, gehörte für mich von Anfang an dazu.
Schon damals, als natürlich auch ich mitten in der Nacht aufstehen durfte, wenn der Meister aller Klassen via Satellit in den frühen Morgenstunden auch auf deutschen Fernsehschirmen boxte. An Orten, die so geheimnisvolle Namen wie “Madison Square Garden” trugen, alles etwas verwaschen mit knarzenden amerikanischen Stimmen hinter dem deutschen Kommentar, und draußen war die Nacht und im TV diese – im Vergleich zu dem, was man da als Kind sonst so kannte – völlig neue Welt, das war schon etwas Großes.
Das gab’s nur einmal und nie wieder, nicht vorher und nicht nachher, und ich frage mich noch heute, warum meine Mutter, die mit Boxen sonst eher wenig am Hut hatte, entgegen aller ihrer Prinzipien so selbstverständlich davon ausging, dass gerade dieses Ereignis eine Ausnahme rechtfertigt.
Und später, als er seine Einberufung nach Vietnam zusammen mit dem Weltmeistertitel in die Mülltonne geschmissen hat, weil er es nicht länger ertragen wollte, dass sie ihn als Olympiasieger mit Nationalhymne und Sternenbanner feierten, während er in der Heimat, wenn er mit weißen Freunden unterwegs war, an den Autobahnraststätten wegen seiner Hautfarbe mit den Hunden draußen bleiben musste.
Er war gerade 25 Jahre alt, als er auf Geld, Ruhm, Karriere und Anerkennung verzichtete um das zu tun, was er für richtig hielt. Und die Welt hat es verstanden. Muhammad Ali wurde zu einer globalen Ikone der Popkultur. Wer “When We Were Kings” gesehen hat, weiß, was das z. B. den Menschen in Afrika bedeutet hat. .
Ich liebte seine Großmäuligkeit, sein Showtalent und dieses PR-Genie, das oft in zwei, drei Gedanken kreativer sein konnte, als ein ganzer Sack voller teurer Werbeagenturen. Etwa seinen alten Runnig Gag, vor jedem Kampf immer die genaue Runde anzugeben, in der er den Gegner k. o. schlagen wolle. Seine Stehgreif-Spottgedichte a la “It will be a Killer, And a chiller, And a thrilla. When I get the gorilla in Manila”, die er zu den unmöglichsten Gelegenheiten in die Kamera deklamierte. Oder seinen Humor. Z. B. als der Fotograf Flip Schulke den 19-Jährigen Cassius Clay 1961 im Trainigscamp besuchte. Als Ali klar wurde, dass Schulke auch für das berühmte Life Magazine arbeitete, erklärte ihm der Nichtschwimmer das Geheimnis seiner Stärke.
Unterwasserboxen! Er trainiere immer im Schwimmbad, weil wenn man stundenlang gegen den Widerstand des Wassers ankämpfe, dann explodierten die Schläge nachher an der frischen Luft wie Dampfhämmer im Gesicht des Gegners. Die Wahrheit ist, weder er noch sonst ein Boxer hatten jemals unter Wasser geboxt. Aber so kam er lange vor seinem Titelkampf gegen Sonny Liston mit einer Exklusiv-Story ins Life Magazine.
Irgendwo hält man mache Menschen immer für unsterblich. Als ich heute morgen hörte, dass Muhammad Ali tot ist, fühlte ich mich für einen Moment weit mehr allein gelassen, als bei Robin Williams, David Bowie und Heltmut Schmidt zusammen. Ruhe in Frieden, Muhammad Ali.
“Wenn Champions siegen, werden sie auf den Schultern von Menschen getragen. Wenn Muhammad Ali siegte, wurden wir auf seinen Schultern getragen.“ Jesse Jackson, amerikanischer Bürgerrechtler
Ingo Brandt