Es ist soweit! Deutschland wird überall auf der Welt beschimpft. Nazi-Witze haben wieder Hochkonjunktur, Deutsche sind offiziell grausam und herzlos, und die Verhandlungen mit Griechenland waren ein „Coup“ und eine „Demütigung“, gar eine Aushebelung der Demokratie.
Das sind alles keine rationale Einschätzungen, es ist ganz einfach German-bashing, von außen wie auch von vielen Deutschen selbst. Man kann natürlich argumentieren, das die Merkel’sche Sparpolitik falsch ist.
Die meisten Amerikaner halten sie jedenfalls für falsch – wir haben auch immer wieder gute Erfahrungen mit dem Schuldenschnitt gemacht (was im Falle Griechenland wahrscheinlich sowieso noch kommen wird): In der Bankenkrise 2009 und im Marshall-Plan nach dem 2. Weltkrieg hat es ja funktioniert, warum sollte es nicht in Griechenland funktionieren?
Aber das Problem liegt nicht bei den Amis, sondern bei den Europäern, und sie haben eben mit Merkels Sparpolitik gute Erfahrungen gemacht: Die meisten europäischen Länder, die nach 2009 in der Krise waren, haben sich eben durch diese Sparpolitik erholt. Da ist es völlig legitim, dass Deutschland eine andere Meinung als Amerika hat.
Außerdem geht es um ein grundsätzliches Problem: Die Eurozone ist deshalb erfolgreich, weil ihre Wirtschaft kapitalistisch und effizient ist. Wenn ein Land wie Griechenland von dem Erfolg der Eurozone profitieren will, muss es nach den gleiche Regeln spielen – es muss seine Wirtschaft ebenso kapitalistisch und effizient ausbauen. Will es das nicht tun, muss es aus der Eurozone austreten und seinen eigenen Weg gehen, was auch durchaus möglich wäre. Will es aber bleiben, muss die EU von Griechenland verlangen, dass es sich der Eurozone anpasst, sonst wird die jetzige Krise sich ewig wiederholen. Als die USA unsere Banken auf ähnlicher Weise retteten, haben wir ähnliche Zugeständnisse verlangt, da hat keiner gemeckert. Also die Reformliste ist auch legitim, vor allem weil Griechenland eine Alternative hat: Den Grexit. All das übrigens gibt es nicht seit gestern, und auch nicht, seitdem es in Griechenland eine „extreme“ rechte/linke-Regierung gibt, sondern von Anfang an.
Ob die Merkel’sche Politik sich am Ende als richtig oder falsch erweist, kann niemand heute sagen. Das weisst auch jeder, der darüber meckert (auch ich – ich gehöre ja eher zu den Kritikern). Das ganze German-bashing hat also nichts mit rationalen Argumenten zu tun, sondern mit etwas anderem: Deutschland ist wieder groß.
Größe macht Angst. Ein großer Staat macht, was er will; kleinere Staaten sind ihnen abhängig und können gleichzeitig den großen Staaten nicht sagen, was sie zu tun haben. Größe kann auch gefährlich sein – egal, wie gut ein Staat es meint, er wird Fehler machen, und dann gibt es weitreichende Konsequenzen. Also ist die Angst vor einem großen Staat teilweise auch berechtigt.
Es sind immer große Staaten, die die Scheiße abkriegen. Der Underdog ist immer moralisch im Recht – auch wenn es wie im Falle Griechenlands zu inkompetent, korrupt, gierig, egozentrisch, sogar schmarotzer-mäßig handelt und eigentlich ein failed state ist, der droht, auch seine Nachbarn mit in den Abgrund zu reißen. Trotzdem: Klein ist immer moralisch im Recht.
Das ist vielleicht unfair dem großen Staat gegenüber, aber es ist auch eine Art Anerkennung: Erst, wenn man erkennt, dass ein Staat groß ist, bewirft man ihn mit Dreck. Ich sehe das jeden Tag als Amerikaner. Unterm Strich macht Amerika doppelt so viel richtig, als es falsch macht. Der Erfolg von Europa und speziell von Deutschland heute hängt zum großen Teil von der amerikanischen Außenpolitik von 1949 bis heute ab; trotz allem Rassismus, Armut und politischer Dysfunktion geht es dem Amerikaner im Durchschnitt viel besser als dem durchschnittlichen Europäer. Amerika ist der Motor hinter den Friedensbemühungen im nahen Osten und in den meisten Teilen der Welt; die meisten Innovationen in Kultur (Mad Men), Wirtschaft (Internet), Politik (Iran) und Moral (die LGBT-Bewegung) kommen aus Amerika.
Trotzdem bewirft die ganze Welt Amerika mit Dreck. Warum? Nicht, weil die Deutschen, die Griechen, die Russen, die Palästinenser irgendwie besser sind als die Amerikaner (ganz im Gegenteil: Wenn man näher hinschaut sind die Sünden Amerikas verschwindend klein im Vergleich zu den Sunden dieser Länder), sondern, weil Amerika groß ist.
Jetzt erfährt endlich Deutschland auch, wie es ist, groß zu sein. Als eines der reichsten und mächtigsten Länder der Welt und als der Anführer Europas hat Deutschland enorme Macht und enorme Verantwortung – viel mehr, als die Deutschen selber wissen. Ich bin auch sicher, Deutschland wird verantwortlich und moralisch reflektiert mit dieser Macht umgehen, und in der Regel wird Deutschland auch relativ gute Entscheidungen machen. Trotzdem werden alle anderen Länder drum herum sich klein, ohnmächtig und bedroht fühlen (auch Amerika ahnt inzwischen, dass Deutschland bald mit uns auf Augenhöhe ist, und das macht uns auch Angst – daher das ganze Geschrei). Ab jetzt wird Deutschland regelmäßig und irrational immer wieder mit Scheiße beworfen, und es gibt nichts, was Deutschland dagegen tun kann.
Sie sollten sich auch gar nicht so überrascht geben. Jahre lang – naja, etwas mehr als 200 Jahre lang – beschmeisst Deutschland Amerika mit Dreck, selbst, nachdem Amerika Deutschland vor sich selbst gerettet hat. Sie wissen eigentlich schon, wie das funktioniert.
Es hilft, wenn die Deutschen sich langsam von ihrer Illusion verabschieden, sie wären fehlerfrei. 60 Jahre lang hat Deutschland an einem fiktiven Selbstbild gebastelt, das das Volk als die einzigen guten Menschen der westlichen Welt darstellt. Allerdings basierte das Bild darauf, das Deutschland in der Welt keine Verantwortung übernimmt und die anderen politisch für sie arbeiten lässt. Das ist es ganz einfach, keine Fehler zu machen.
Ab jetzt geht das aber nicht mehr: Deutschland wird immer wieder auf der internationalen Bühne handeln müssen, und wird auch immer wieder Fehler machen. Da gibt es kein Entkommen: Trotz aller Bemühungen der letzten 60 Jahre wird Deutschland nie wieder eine weiße Weste tragen dürfen.
Ich sage: Willkommen im Klub!
Eric T. Hansen ist Amerikaner, Buchautor, Journalist und Satiriker, lebt seit über 20 Jahren in Deutschland und heute in Berlin. Seine Bücher: ) oder . Eric T. Hansen The Hula Ink Blog
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