Im Vorfeld des TTIP und des TPP reden alle darüber, wie die geplanten Tribunale die Demokratie aushebeln – wenn ein Unternehmen einen Staat wegen Vertragsbruch anklagt, geht der Fall nicht vor einem Gericht, das diesem Staat dient, sondern vor ein neutrales, internationales Gericht – das, so das Gerücht, von den Anwälten des Unternehmens geleitet wird.
So verhandelt auch Vattenfall, die Deutschland wegen Enteignung angeklagt haben, zur Zeit nicht vor einem Gericht in Deutschland – wie dass ausgehen würde, kann man sich vorstellen – sondern vor einem neutralen Gericht in Brüssel.
Als Literaturwissenschaftler erkenne ich hier weniger die Realität als ein Märchen, schon von der Struktur her: Der böse Wolf (Unternehmen, groß, undurchsichtig, Unschlagbar, an kein Gesetzt gebunden, Kommerz, Kapitalismus, Profitsucht, Eigensucht) bedroht den guten, aufrechten Staat (klein, hilflos, nur an das Wohl ihres Volkes, der Umwelt und der Menschheit bedacht, anti-kapitalistisch, sozial, altruistisch).
Es ist ein Kinofilm – aber nicht unbedingt die Wirklichkeit, aber weil es ein Kinofilm ist, lieben wir diese Geschichte und hinterfragen sie nicht. Ein Fall, auf den viele TTIP-Gegner zeigen, ist der Fall Phillip Morris (gross, böse), der Uruguay (kein, hilflos) wegen Werbeverbote für Tabak angeklagt hat. Alle gingen selbstverständlich davon aus, dass sich Uruguay nicht wehren kann – naja, ein Dritte-Welt-Land, sie wissen nicht, wie das Gesetzt funktioniert, nicht wie wir im Westen, sie haben keine Anwälte, die Armen!
Der Fall begflügelt unsere Fantasie, die Vorurteile gegenüber der Dritten Welt und unsere Einbildung, nur wir im Westen wissen, was wir tun. Nun ist aber Phillip Morris vor dem Tribunal gescheitert – wie so viele Unternehmen vor ihnen.
Dass diese Tribunale grundsätzlich den Unternehmen dienen und den Staaten diktatorisch den Willen des Unternehmens aufzwingen, wissen die Unternehmen leider nicht, denn in nur 1/3 der Fälle siegen die Unternehmen vor den Tribunalen, in 1/3 der Fälle findet man einen Vergleich und in 1/3 der Fälle siegt der jeweilige Staat.
Es gibt viele Kritikpunkte an solchen internationalen Handelsabkommen, und manchmal wünschte ich wirklich, man würde darüber reden, anstatt über Märchen.