Die Schwulenehe in Amerika, wo religiöser/christlicher Glaube sehr wichtig ist, ist eine riesige Änderung in der Gesellschaft, und sie kam nicht von oben, sondern von unten.
Ist das Indiana-Gesetz ein anti-gay-Gesetz?
Weil es für viele Deutsche im Moment nicht ganz klar ist, hier einige Hintergrundinfos zum “Pence-Gesetz” in Indiana:
Das neue Gesetz ist als diskriminierend gegenüber Schwulen verschrien. Es ist etwas komplizierter: Das Gesetz verbietet der Regierung, von den Bürgern ein Verhalten zu verlangen, das eine bedeutende Belastung für ihre religiöse Überzeugungen darstellt.
Dies ist an sich sinnvoll. Es basiert auch auf einem noch gültigen bundesweiten Gesetz von 1993: Damals wollten einige Indianer Peyote-Kaktus rauchen, das verboten war. Das Gesetz verbot dem Staat, den Indianern das Rauchen von Peyote zu verbieten, weil dies ein Teil ihrer Religion war. Seitdem wurde das Gesetz immer wieder für Minderheitenreligionen angewandt: Ein Muslim im Knast wollte seinen Bart nicht abschneiden, er ging vor Gericht und behielt aufgrund dieses Gesetz recht.
Nun aber tobt seit vielen Jahren der Kampf um die Schwulenehe. Es gibt nur noch ein Dutzend Bundesstaaten, die die Schwulenehe nicht erlauben, und neulich wurde auch in Indiana, über Indianas oberstes Gericht die Schwulenehe anerkannt. Das ist eine herbe Niederlage für die religiösen Konservativen, die die Schwulenehe als ein symbolisches Zeichen dafür ansehen, dass sie die sogenannten “culture wars” (das Tauziehen zwischen links/fortschrittlich und rechts/konservativ/religiös) gerade verlieren. Alles, was die Konservativen wollten – keine Schwulenehe, keine Gesundheitsreform, etc. – wurde ihnen weggenommen und nun sind sie in der Defensive.
Also kam jemand auf die Idee, dass die Schwulenehe gegen ihre Religion verstößt und falls man sie zwingen würde, an einer Schwulenehe teilzunehmen – zum Beispiel wenn ein Bäcker vom Staat gezwungen würde, für eine Schwulenehe einen Kuchen zu backen – würde dies gegen ihre religiösen Freiheit verstoßen. Es geht nicht darum, dass ein Bäcker einem Schwulen kein Donut verkaufen will (was illegal wäre), sondern ausschließlich darum, dass er an dessen Eheschließung nicht teilnehmen möchte, weil er diese für eine religiöse Handlung hält, und wenn dies Schwule tun, sei das gegen den Willen Gottes.
Dies ist eine Umdefinierung von “religiöser Freiheit”. Bis jetzt bedeutet “religiöse Freiheit”, dass man Gott so anbeten kann, wie man will. Nach diesem Gesetz (sagen die Gegner) bedeutet “religiöse Freiheit” nun, dass man Menschen mit anderem oder keinem Glauben ausschließen kann, weil Gott ihren Lebenswandel nicht mag. Wenn ich dies ad absurdum führe: Als orthodoxer Muslim brauche ich mit keiner Frau ohne Kopftuch sprechen, weil sie sich gerade gegen den Willen Gottes verhält. Oder kein Christ ist.
Es ist auch absurd – und unwahrscheinlich, dass dieses Gesetz im Alltag praktisch angewendet werden kann. Sobald es einen Präzedenzfall vor dem obersten Gericht gibt, wird es sicher niedergeschlagen. Und die Schwulen in Amerika, sind politisch sehr aktiv und würden sofort einen Präzedenzfall schaffen.
Das weiß Pence sicher auch. Aber er hat die Idee, in zwei Jahren als Präsident zu kandidieren, und dieses Gesetz war für ihn sicher die Gelegenheit, sich vor der konservativen Wählerschaft als Held aufzuspielen.
Nun aber ist die Reaktion so heftig, dass Pence einen Rückzieher machen muss. Mehrere große Firmen haben angekündigt, aus Indiana wegzuziehen, Rockbands wollen nicht mehr in dem Bundesstaat auftreten, etc. Pence behauptet jetzt, dass das Gesetz niemals etwas mit Diskriminierung zu tun gehabt hätte, und tut überrascht, dass es so interpretiert wird – das ist natürlich Quatsch, das Gesetz ist Teil einer Entwicklung, bei der es explizit um „Schwulenhochzeiten“ geht, und dies weiß er genau.
Es folgte ein Riesenshitstorm, und Pence sagte jetzt, er würde ein Gesetz einbringen, das zur Diskriminierung nicht benutzt werden darf. Ich denke, das ist der Anfang vom Ende solcher Gesetze, aber der Kampf dagegen ist noch nicht vorbei.
Nun aber die Frage, die jeder gute Deutscher sich heimlich im Kopf sich stellt: Sind die Amsi alle verrückt, oder was?
Viele Deutsche sind zu recht verwundert und empört über das “Pence-Gesetz” in Indiana, das vorgibt, religiöse Freiheit zu schützen und in Wahrheit aber Schwule diskriminiert (es erlaubt, dass konservative Christen aus religiösen Gründen Schwulenhochzeiten ihre Dienste verweigern können, was ansonsten verboten und eine Diskriminierung ist.)
Mein Antwort: Ja und nein.
Dieses Gesetz ist der letzte Ausweg für viele Christen in den sogenannten “culture wars”, ein Tauziehen zwischen fortschrittlichen/linken Werten und konservativen/religiösen Werten. Über die letzten 40 Jahre haben die Linken diesen Krieg immer wieder gewonnen – sie haben Abtreibung durchgesetzt, sie haben nicht erlaubt, dass Religion in der Schule gelehrt wird, sie haben die Gesundheitsreform durchgesetzt und nun setzen sie die Schwulenehe durch. Die Konservativen verlieren auf ganzer Linie. Ihr einziger Erfolg in letzten Jahren war, dass die Waffengesetze nicht verschärft wurden.
Ein Gesetz, das Konservativen erlaubt, an Schwulenhochzeiten nicht teilzunehmen, ist ein schwacher Trost, und eine verzweifelte Maßnahme. Letztes Jahr erst wurde in Indiana die Schwulenehe erlaubt, dieses Gesetz ist eine direkte Reaktion darauf.
Ich schau mir dies an und sage mir: In Deutschland könnten so unsinnige Gesetze niemals durchkommen. Stimmt auch. Was viele nicht sehen, ist: Die Entwicklung zur Schwulenehe in den USA ist ein Bilderbuch-Beispiel für Demokratie.
Die Schwulenehe in Amerika, wo religiöser/christlicher Glaube sehr wichtig ist, ist eine riesige Änderung in der Gesellschaft, und sie kam nicht von oben, sondern von unten.
Seit den frühen 90ern kämpfen die Schwulen lautstark und unermüdlich für die Schwulenehe. Zuerst sah es aus, als ob es nie passieren würde. Doch dann vor ein paar Jahren begannen die Bundesstaaten, einer nach dem anderen, die Schwulenehe einzuführen. Sofort gingen die Konservativen vor Gericht und ließen es verbieten. Dann gingen die Schwulen wieder vor Gericht und ließen das Verbot verbieten. Es war ein unglaublicher Kampf.
Ich persönlich glaube, dass der Wendepunkt kam, als Lady Gaga sich 2011 für die Schwulenehe aussprach und darüber eine Platte herausgab. In Amerika ist Popkultur politische Kultur. Heute gibt es nur noch ein Handvoll Bundesstaaten, die noch keine Schwulenehe erlauben, und die gibt es auch nicht mehr lange: Die Schwulen haben gesiegt.
In Deutschland lief das anders.
Hier könnte es nie ein Gesetz wie in Indiana geben, weil eine konservative Reaktion auf die Schwulenehe nie notwendig war: Die Schwulenehe ist ganz einfach nicht erlaubt. 2012 (?) wurde still und leise im Bundestag entschieden, dass es in Deutschland keine Schwulenehe geben würde, und dabei bleibt es. Niemand hat sich darüber ereifert, es gab keine Proteste, die Schwulen haben die zweite Wahl – eingetragene Gemeinschaft – akzeptiert und damit auch akzeptiert, dass sie in Deutschland Bürger zweiter Klasse sind.
Die deutsche Art, mit der Schwulenehe, ist weniger verrückt, weniger chaotisch, weniger bizarr – es ist ordentlicher und vernünftiger. Es ist auch nicht demokratisch, sondern ein klassischer Fall von Gesetzgebung, die „von oben nach unten“ kommt.
Wo bleiben die Schwulenproteste gegen das Schwuleneheverbot? Ich sehe keine. Ich kenne sogar ein paar Schwule, die einfach ihre „eingetragene Gemeinschaft“ als „Ehe“ umstempeln – weil sie nicht das bekommen, was sie verdient haben und so tun, als ob sie sie schon längst hätten. Das ist wie das was der Schwarze in Alabama 1965 sagte, „He, hinten im Bus sitzen ist auch gut, ich komme ebenso schnell an wie die da vorne, das ist keine Diskriminierung, das ist Ordnung.“
Irgendwann wird die Schwulenehe auch nach Deutschland kommen, ganz klar – wenn es nicht mehr haltbar ist, und das verrückte, unvernünftige Amerika wird das Vorbild sein.
Eric T. Hansen ist Amerikaner, Buchautor, Journalist und Satiriker, lebt seit über 20 Jahren in Deutschland und heute in Berlin. Seine Bücher: ) oder . Eric T. Hansen The Hula Ink Blog
Indiana Governor Mike Pence Clowns Himself on National TV
Guter Artikel und wahr! In Deutschland ist es normal, dass man über Amerika schimpft obwohl man keine Ahnung von diesem Land hat. Sie wissen nicht welche Rechte die Bevölkerung dort hat und können sich dies auch nicht vorstellen. Sie lesen eine Schlagzeile in der “Bild Zeitung” oder einer anderen Zeitung, die Unterschiede sind nicht mehr sehr groß, und beschimpfen dieses Land. Deutsche nähren und leben in Klischees und Vorurteilen.
Sie beschimpfen Amerikaner, haben aber keine Ahnung davon, wie man für seine Rechte kämpft und das dies überhaupt möglich ist. Bis auf ein paar Ausnahmen. Wahrscheinlich wollen und wissen dies nicht. Mobbing und Verurteilen genügt ihnen offenbar ohne zu erkennen, dass sie hiermit nicht nur nichts bewirken, sondern sich selbst schädigen. Sie gehen auch gegen die eigenen Leute vor, verklagen und denunzieren ihre Nachbarn wegen Nichtigkeiten. Das verstehen sie offenbar darunter Rechte zu haben.
Ansonsten nehmen alles hin, auch die Schwulen, wenn sie persönlich keinen Vorteil haben. Das einzige was Schwulen in Deutschland gestattet wird, ist politisch Karriere zu machen, allerdings dürfen sie nicht zu “aufmüpfig” werden. Sie nutzen ihre Position nicht dafür, wie an Wowereit zu sehen war, sich für seine Sinnesgenossen einzusetzen und verraten damit eigentlich sich selbst. Die anderen Schwulen bemerken diesen Verrat leider nicht einmal, sondern sind schon stolz darauf, dass einer von ihnen Politiker werden darf und machen sich hierdurch zu Menschen zweiter Klasse.
Aber so ist das in Deutschland. Nicht, “alle für einen”, sondern jeder gegen jeden… Egoismus ist in Deutschland salonfähig und macht Solidariät unmöglich. Aber dies bemerkt selbst die schwule Minderheit in Deutschland nicht, sie leben in einer Illusion und reden sich ihre Situation schön. Wie Eric Hansen treffend schrieb: „He, hinten im Bus sitzen ist auch gut, ich komme ebenso schnell an wie die da vorne, das ist keine Diskriminierung, das ist Ordnung.“