Manchmal ist das Leben in Deutschland für mich wie ein Leben im Twilight Zone.
Zu den skurrilsten und bizarrsten Dingen, die ich jemals hier erlebt habe, gehört die gegenwärtige mit Leidenschaft und einer gehörigen Portion Wichtigtuerei ausgetragene Diskussion um den Umgang mit dem Namen von „Andreas L.“, international als „Andreas Lubitz“ bekannt, Massenmörder.
Es ist ja gerade etwas Unfassbares passiert, hier im malerischen, verschlafenen Deutschland, auf dem gleichen Rang wie die großen, unvorstellbaren Massenmorde von Osama bin Laden und Andre Breivik. Aber anstatt sich damit zu befassen, diskutieren die Deutschen (zumindest sehr viele von ihnen) lieber über die völlig theoretische, praktisch irrelevante Frage, ob man den Namen, der längst bekannt ist, veröffentlichen darf.
Es geht um … um was? Schutz der Privatsphäre? (Naja, keiner diskutiert, ob die Namen der Opfer veröffentlicht werden dürfen… aber vielleicht ist ja für viele Deutsche das wahre Opfer Andreas Lubitz).
Oder um journalistische Ehre? (Es wurde nie in einem Gericht bewiesen, dass Osama bin Laden hinter den Anschlägen vom 11. September steckte, sein Name wurde aber nie verschwiegen… naja, er war aber auch Ausländer).
Selbst, wenn die Frage legitim wäre – warum so viel Empörung, wenn es auch echte Fragen gibt?
Wie gehe ich emotional mit einem solchen Ereignis um? Ist unsere Gesellschaft mitschuldig? Was gibt es für Folgen – und zwar nicht nur im Sinne von „vier Augen in Cockpit“? Wo wird in den nächsten Jahren Germanwings angeklagt und nach welchen Gesetzen?
Es war ein internationaler Flug und über die Hälfte der Opfer waren internationale Opfer. Bestimmte deutsche Regelungen, wie Datenschutz und Privatsphäre, die einzigartig auf der Welt sind, werden in Frage gestellt werden, wenn die Klagen gegen Germanwings in Spanien, Frankreich oder gar in New York beginnen. Die Deutschen werden sich damit auseinandersetzen müssen, warum ihre Gesetze mit denen anderer Länder nicht in Einklang sind, obwohl das Handeln der Deutschen, auch einzelner Deutscher, so viel Einfluss auf andere Länder hat.
Doch all das ist vielen Deutschen nicht so wichtig wie eine Bild-Überschrift.
Warum wollen so viele Deutsche die Medien zu den „wahren Tätern“ hochstilisieren? Das ist keine rhetorische Frage: Es ist ein bizarres Verhalten, zu dem – ich vermute – nur die Deutschen fähig sind.
Ich habe drei Theorien:
1. Angst vor großen Gefühlen: Die Deutschen sind nicht in der Lage, mit einer so unfassbaren Tat umzugehen, also weichen sie auf ein Nebenschauplatz aus. Viele Deutschen neigen dazu, nicht nur im Angesicht eines solchen Verbrechens, intensive Gefühle zu zeigen. Auf der Uni in München, wo ich Mediävistik studiert habe, haben wir ständig Fragen der Editionen, der Begriffklärung und der und historischen literarischen Theorien diskutiert – selten den eigentlichen Gegenstand unseres Fachs, die Literatur des Mittelalters. Das ist der Grund, warum in vielen Fächern, selbst in der Literatur des deutschen Mittelalters, die besten Wissenschaftler in England und den USA sitzen – sie befassen sich mit den großen Fragen, während die Deutschen aus lauter Angst, sie könnten was falsches sagen, sich davor verstecken.
2. Nationalstolz: Die Deutschen wollen ungern wahrhaben, dass sie immer noch Massenmörder sein könnten. Immer, wenn in Amerika jemand amokläuft, empören sich die Deutschen mit einer maßlosen moralischen Überheblichkeit (und natürlich nennen sie Namen), und klopfen sich auf die Schulter, dass ihre Waffengesetze für eine ordentliche, brave Gesellschaft sorgen. Noch nie aber hat ein Einzelner mit einer Waffe in den USA 149 Menschen getötet. Vielleicht haben sich viele Deutsche zu früh über andere Länder empört, und wollen jetzt selbst nicht zugeben, dass ihre Gesellschaft nicht so moralisch überlegen ist, wie sie glauben. Also verdrängen sie es lieber (und natürlich kommt hinzu, es war ein internationaler Flug, wenn der Co-Pilot niemals identifiziert worden wäre, würde niemand erfahren, dass es ein Deutscher war).
3. Sie wissen nicht, wie das geht: Die Deutschen – das habe ich öfter bemerkt – neigen dazu, in festen Bahnen zu denken. Willst du linker Intellektueller sein? Musst Du dich über Bild, die NPD und Kapitalismus aufregen. Willst du für kultiviert gehalten werden? Dieter Bohlen, Til Schweiger, die Privaten und „Hollywoodscheiß“. Willst du als welterfahren und moralisch überlegen gelten? Reg dich über Amerika und Israel auf. Selber nachdenken ist nicht erforderlich, man muss nur auf bestimmte Knöpfe drücken, und schon macht man Eindruck. Das hat Vorteile: Das macht das Leben gewiss leichter – es ist viel leichter, auf dem Gymnasium diese paar einfachen Regeln zu verinnerlichen, als das ganze Leben lang selber zu denken. Viele Deutsche denken fast ausschließlich in diesen auswendig gelernten, standardisierten Mustern. Über Andreas Lubitz nachzudenken – das tut weh, und ist schwieriger, unklar was man zu denken hat, noch nie gemacht, keiner hat es vorgemacht. Da ist es eine Erleichterung, wenn man sich wieder in gewohnter Umgebung befindet – die Bild Zeitung war es! Die ist schuldig!
Ihr habt jetzt ein Problem in der Art, wie Amerika am 11. September ein Problem hatte. Wir hatten es womöglich leichter, weil wir politisch darauf antworten konnten – wir konnten einen Schuldigen ausmachen und jagen. Ihr habt es schwerer – es ist eine fast nicht zu bewältigende emotionale Aufgabe, und ich glaube, es wird euer Selbstbild für immer ändern. Ich wünsche euch viel Glück dabei.
Eric T. Hansen ist Amerikaner, Buchautor, Journalist und Satiriker, lebt seit über 20 Jahren in Deutschland und heute in Berlin. Seine Bücher: ) oder . Eric T. Hansen The Hula Ink Blog
Ein hervorragender Artikel der den Nagel auf den Kopf trifft! Damit sich die Deutschen nicht mit ihrem eigenen 9/11 auseinander setzten müssen, suchen sie wie immer einen Schuldigen. Sie zeigen mit dem Finger auf andere, beschuldigen ohne Beweise oder die geringste Ahnung zu haben, um sich erhöhen zu können und ihr kleines erbärmliches Ego aufzupolieren.
Vor allem um sich mit ihrem eigenen Fehlverhalten, katastrophalen Missständen im eigenen Land nicht auseinander setzen zu müssen, wird vertuscht, gemauschelt und schön geredet. Die meisten Deutschen sind emotional verkrüppelt und nicht in der Lage Gefühle oder Mitgefühl zu zeigen. Sie sind auf ein System wie Roboter konditioniert. Damals Mittäter der Massenmorde in der Nazi Zeit, was sie sich bis heute nicht eingestehen, nachdem sie erneut angepasst und ohne dies zu bemerken, ebenfalls nur funktionieren.
Ähnlich verhält es sich auch bei diesem Massenmörder, dem sie eher die “Stange” halten, als sich damit auseinander zu setzen, dass sie als Gesellschaft versagt haben und erneut mitverantwortlich sind.
Die nächsten Schuldigen werden die Ärzte sein und so wird bereits jetzt darüber diskutiert, den Ärzten die Schweigepflicht zu entziehen. Was dies für jeden einzelnen Patienten bedeutet, der hierdurch nicht nur “gläsern” wird, es bereits ist und anschließend in Deutschland eigentlich keinen Arzt mehr konsultieren kann, interessiert nicht. Weil die Gesellschaft und ein überreguliertes (Beamten) System, hierzu gehört auch diese Fluggesellschaft, versagt hat. Im Gegenzug regt sich die Bevölkerung inklusive der Politiker in Deutschland über Datenschutz auf und macht Snowden zum Helden.
Die Rechtfertigung andere beschuldigen und maßregeln zu können, haben sie seit Generationen zu Hause gelernt. Dies ist die Keimzelle für ihr Verhalten und ebenfalls ein Überbleibsel aus der Nazi Zeit.
Andere Staaten, mit ihren Menschen, werden von der deutschen Bevölkerung durch Vorurteile und Klischees, die von den Mainstream-Medien verbreitet werden, verurteilt und beschimpft. Deutsche sind nicht in der Lage ihr eigenes Verhalten zu reflektieren. Heute meinen sie das Recht zu haben in Europa den Kurs vorzugeben und ihre neoliberale Politik durchzusetzen, weil sie das reichste Land in Europa sind. Das Einzige was sie 70 Jahre nach Ende des zweiten Weltkriegs gelernt haben, ist: wie man skrupellos Profit macht und die Bevölkerung zu Egomanen erzieht. Das hierdurch Staaten und Menschen ruiniert und in Armut getrieben werden interessiert ebenfalls nicht. Hat die Deutsche Bevölkerung Mitgefühl für das Elend und die Armut der griechischen, spanischen Bevölkerung oder den Iren, die bis heute bezahlen, weil die deutsche Regierung sich von Banken über den Tisch ziehen ließ. Nein! Die Bevölkerung, die sich ebenso wie die Politiker dieses Landes verhält, bemerkt nicht, dass sie selbst Opfer eines skrupellosen, profitorientierten Staats sind, der sie ausbeutet. So lange es ganz egoistisch dem Einzelnen gut geht, der sich als Deutscher nicht für den anderen und erst recht nicht für das Wohlergehen der Menschen in anderen Ländern interessiert, ändert sich nichts. Die Vorstellung was passiert wenn die Deutschen sich keine Autos mehr leisten können und es der Bevölkerung schlecht geht, sollte jedem Angst machen, der die Geschichte dieses Landes kennt.
Nachdem die meisten Deutschen feige sind, reden sie sich bis dahin ein es ginge ihnen ja gut, um selbst nichts ändern zu müssen und lassen sich korrumpieren.
Und so lange dieses Volk kein Sozialverhalten besitzt und lernt, das zur Demokratie auch Verantwortung gehört, die jeder einzelne übernehmen muss und Eigeninitiative, werden Massenmörder weiterhin unterstützt und verteidigt werden. Damals wie heute!
…dieser Artikel ist eine ebenso maßlose Übertreibung und Verzerrung, wie das kritisierte Geschehen!… Bringt nicht konstruktiv weiter!
Der Artikel von Hansen ist mir aus der Seele gesprochen. Da begeht eine Bestie ein unfassbares Verbrechen, und wir Deutsche diskutieren ersthaft, ob man den Namen und das Photo dieses Teufels, der eiskalt und skrupellos mit voller Absicht 149 unschuldige Menschen ermordet hat, veröffentlichen darf. Man hat langsam den Eindruck, das größte Mitgefühl der Deutschen gilt dem armen, kranken Lubitz. Warum bezeichnen wir die Todespiloten vom 11.9. zurecht als Mörder, den vom 24.3. aber nicht?
Offenbar sind wir Deutsche in unserem Gutmenschentum inzwischen so krank, dass wir selbst 149-fachen Mord nicht so schlimm finden, wenn die Motive nur dem Zeitgeist nicht widersprechen und nur ja keinen islamistischen, ausänderfeindlichen, rechtsradikalen, frauenfeindlichen, pädophilen oder umweltfeindlichen Hintergrund haben.
In diesem Zusammenhang finde ich auch mehr als pervers, dass man stets von 150 Opfern des Absturzes spricht und sogar Gedenkkerzen auch für den Mörder aufstellte. Genausogut könnte man in Buchenwald oder Auschwitz eine Gedenkkerze für Hitler aufstellen.