Heute wird Kultur fast ausschließlich aus der Vergangenheit (Beethoven, Thomas Mann, die Weimarer Republik) oder aus dem Ausland (Rolling Stones, Mad Men, Murakami) importiert – die BRD produziert mit wenigen Ausnahmen keine eigene nennenswerte Kultur.
Als ich auf Hawaii aufgewachsen bin, war ich – wie viele Amerikaner – von der Oberflächlichkeit und Dummheit meiner eigenen Kultur angewidert. Deswegen bin ich auch nach Deutschland ausgewandert, wo alle Deutsche mir prompt versicherten, dass sie – im Gegenteil zu den unkultivierten Amis – allesamt „Kultur hätten“, „nicht schwarz/weiß, sondern differenziert denken“, „die Hintergründe hinter den Ereignissen sehen“ und insgesamt sehr politisch engagiert sind und intellektuell diskutieren.
Anfangs fiel ich auch auf die schmeichelhafte Selbstüberschätzung rein, dann langsam fiel mir auf, dass die meisten Leute immer wieder die gleichen Sprüchen wiederholten, egal zu welchem Thema: „Man muss die Ursachen bekämpfen“, „man muss Kommunikationskanäle offenhalten“, „das ist eine verpasste Chance“, „Friedensmacht statt Führungsmacht“, die scheinheilige Sorge um die Menschlichkeit und die geheuchelte Abwehr gegen den Kommerz, auch der trendige, nicht überlegte Zynismus über Politik und Wirtschaft, der irrationale Hass auf Banken und Kapitalismus, und natürlich der unerträglich flächendeckende Rassismus (doch doch, Anti-Amerikanismus ist selbstverständlich Rassismus). Vor allem die Rhetorik der Linken ist heute eins-zu-eins die gleiche wie in den 80ern – nur die Welt, in der wir leben, ist eine ganz andere.
Dazu kam, das mir als Kulturinteressierter (um Deutschland zu verstehen, habe ich bekanntlich in München die Kultur und Geschichte des deutschen Mittelalters studiert) auffiel, dass die Kulturliebe der Deutschen nur vorgetäuscht war. Heute wird Kultur fast ausschließlich aus der Vergangenheit (Beethoven, Thomas Mann, die Weimarer Republik) oder aus dem Ausland (Rolling Stones, Mad Men, Murakami) importiert – die BRD produziert mit wenigen Ausnahmen keine eigene nennenswerte Kultur.
Immer mehr fragte ich mich, warum die Deutschen nur Sprüche wiederholen, anstatt sich realistisch mit der realen Welt, in der sie leben, auseinandersetzen; warum sie nicht in der Lage sind, sich selbst klar anzusehen und zu erkennen: unsere Kultur und unser politischer Dialog sind stagniert.
Die einzige Antwort, die ich finden konnte, war: Deutschland hat Angst vor dem Leben in der realen Welt und flüchtet in leere Floskeln und alte Vorurteile.
Es gab aber eine Zeit, als das nicht so war. Goethe und Schiller, die Filmemacher und Popkünstler der Weimarer Republik, die großen deutsche Philosophen haben nicht die Gedanken und Ideen der Vergangenheit gedankenlos wiederholt, sie haben sich neue Ideen ausgedacht, die auf ihr eigene Zeit passten, und die haben damit die Welt verändert.
Diese Menschen waren auch der Grund, warum ich nach Deutschland gekommen bin – nicht, um scheinheiligem Populismus zu lauschen. Aus diesem Grund rede ich den Deutschen nicht mehr nach dem Schnabel. Wenn ich leere Sprüche, Vorurteile, populistische Rhetorik oder Selbstillusionen höre, akzeptiere ich sie nicht mehr; wenn ich Anti-Amerikanismus höre, sage ich, dass das Rassismus ist. Wenn ich Selbstüberschätzung höre, sage ich klar und deutlich: Deutschland heute ist stagniert.
Die Deutschen erwarten heute sehr wenig von sich. Ich erwarte sehr viel von ihnen. Deshalb tue ich das, was ich tue. Und ich glaube, dass Sie das sehr wohl verstehen.
Eric T. Hansen ist Amerikaner, Buchautor, Journalist und Satiriker, lebt seit über 20 Jahren in Deutschland und heute in Berlin. Seine Bücher: ) oder . Eric T. Hansen The Hula Ink Blog
Siehe auch:
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