Damit es klar ist: Die Zerstörung der EU ist nicht Schuld der Briten allein – alle Europäer sind daran beteiligt, vor allem die Deutschen, die den größten, mächtigsten, einflussreichsten und daher verantwortlichsten Block bilden.
Here the English version:
Seit den Neunzigern höre ich in Deutschland nur noch einen Chor aus unzufriedenen nörgelnden Stimmen – die EU sei eine Bürokratie, eine Diktatur, sei keine Demokratie, sei lächerlich, vertritt nicht unsere Interessen, Fremdbestimmung! Warum kriegt Griechenland so viel Geld? Was kümmert es uns wenn Putin Grenzstaaten überfällt, das ist so weit weg! – nicht nur von den extrem Rechten, sondern auch von den Linken und vor allem aus der Mitte der Gesellschaft: Nörgeln hat in Europa und vor allem in Deutschland das kritische Denken und den politischen Dialog längst ersetzt.
Das ist ein Zeichen eines infantilen Obrigkeitsglauben – der obrigskeitsgläubige Mensch sieht sich niemals in der Pflicht, etwas aufzubauen, etwas positives zu leisten, er sieht dies als die Aufgabe von „denen da oben“, eine eigene Verantwortung hat er nicht, außer meckern, dass die da oben nicht alles richtig tun, und er meckert und meckert, weil er sich besonders klug dabei vorkommt.
Die Folge ist: Es entsteht kein europäischer Patriotismus, keiner sieht einen Grund, sich für Europa einzusetzen, niemand sieht wie seine Nachbarn hart arbeiten, um etwas tolles aufzubauen, und sagt, ja eigentlich hat er recht, es gibt Sachen im Leben, für die es sich zu kämpfen lohnt. Das gab es nur ein bisschen etwa 2 Wochen vor der Brexit-Wahl – aber natürlich war es dann langst zu spät. (Und bevor ich höre, ach Patriotismus, das ist was Amerikanisches – seitdem ich hier bin, höre ich unaufhörlich, wie die irgendwie magische europäische Kultur und Aufklärung, was immer das sein soll, meilenweit der amerikanischen überlegen – ihr bildet euch schon ein, dass ihr die Größten seid auf der ganzen Welt – ihr wollt bloß nicht die Verantwortung, die mit Größe einhergeht.)
Ihr seid wie Kinder, die nicht verstehen, dass Mami und Papi das Geld verdienen müssen, das ihr ausgibt, und ihr meckert unaufhörlich: Warum gibt uns Mami und Papi nicht alles, was wir wollen?
So war es ein leichtes für die fleißigen, überzeugten und entschlossenen anti-europäischen Nationalisten, Erfolg zu haben. Sie klangen so gut, weil sie eigentlich nur ausgesprochen haben, was die Nörgler in der Mitte der Gesellschaft auch dachten.
Ich habe es immer gesagt und ich sage es noch mal: Wer nicht bereit ist, für das zu kämpfen, was er hat, wird es verlieren. Und ihr verliert die EU.
Es wird keine Kern-EU geben, es wird keine „kleinere EU“ geben, es wird höchstens einen lockeren wirtschaftlichen Verband geben, der so viel echte Macht ausrichtet wie ein alter zahnloses Wiesel. In wenigen Jahren, höchstens in zwei Jahrzehnten, seid ihr wieder Nationalstaaten im frühneuzeitlicher Stil – umgeben von großen Mächten um euch herum, auf die ihr keine Einfluss habt.
Aber als Ami sage ich: Es gibt auch eine positive Seite! Nämlich: Wir Amis haben keine Konkurrenz mehr in der westlichen Welt!
Seit einiger Zeit fürchten wir Amis, dass unsere Glanzzeiten vorbei sind, dass unser internationaler Einfluss abnimmt. Eine echte EU, als politisch selbstbewusste Macht, hätte uns unsere Stellung tatsächlich streitig machen können – wir hätten die westliche Welt nicht mehr dominieren können, nicht mehr alle unsere Verbündeten rumschubsen können. Jetzt ist dieser Spuk endlich vorbei! Europa verfällt wieder in bedeutungslosen, hilflosen Kleinstaaten, die uns nicht mehr den Stirn bieten können. Nach dem ersten „Amerikanischen Jahrhundert“ kommt jetzt also das zweite.
Aber keine Sorge, ihr kleinen Europäer, wir werden schon zärtlich sein. Im Gegenteil, ihr könnt froh sein, dass ihr wieder einen großen Bruder habt, der auf euch aufpasst und eure Interessen verteidigt, weil ihr ja selber nicht dazu in der Lage seid. Ihr wart es nicht 1933, ihr wart es nicht im Kalten Krieg und ihr werdet es die nächsten 100 Jahre nicht sein. Weil keiner von euch den Mut hat, aufzustehen und für das zu kämpfen, was ihr habt.
Also lasst uns heute Abend zusammen einen heben, ihr Europäer – ihr habt bekommen, was ihr immer gewollt habt – den Rückschritt in die von euch so geschätzte Vergangenheit – und ihr habt uns Amis damit geschenkt, was wir immer wollten – ein zweites Amerikanisches Jahrhundert. Prost!
Eric T. Hansen ist Amerikaner, Buchautor, Journalist und Satiriker, lebt seit über 20 Jahren in Deutschland und heute in Berlin. Seine Bücher: ) oder . Eric T. Hansen The Hula Ink Blog.
Siehe auch:
- TTIP – Wie sich die Deutschen manipulieren lassen
- Aufregung wegen TTIP? Angst vor fallenden Standards?
- Amerika darf nicht Europa werden
- Ist Deutschland wirklich das beste Land der Welt?
- Küken-Schreddern: USA beendet grausame Tierquälerei
- Wenn Innovation eine Bedrohung ist
- Philanthropie: Gutes tun! Reiche Menschen verschenken ihr Geld
- Warum ich als Amerikaner gegen die TTIP bin
- Deutschland – Korruption, Lobbyismus, Vetternwirtschaft, Betrug
- Die deutsche Kultur heute ist stagniert
- Ist Anti-Amerikanismus eine Form von Rassismus?
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