Nach Hundeattacke in Harlaching “Alle hier haben Angst”.
Nein, diese Überschrift habe ich nicht etwa der Zeitung mit den großen Buchstaben entnommen, sondern der, die ihre Leser dazu auffordert, anspruchsvoll zu sein. Dieser Maxime genügt die Süddeutsche mit ihrem Artikel über den Beißvorfall leider nicht.
Wer als Leser nutzbringende Informationen erwartet, wird bitter enttäuscht. Billigste Meinungsmache gibt den Ton an. Gewollt oder nicht, mit einer derart manipulativen Berichtserstattung trägt die SZ zu einem zunehmend hundefeindlichen Klima bei. Dies wird deutlich, wenn man sich die Gestaltung des Artikels einmal genauer ansieht.
Bereits die Überschrift lässt vermuten, dass hier jemand schreibt, der nicht unbedingt um Sachlichkeit bemüht ist: durch die Wortwahl “Hundeattacke” anstelle des wertfreien “Beissvorfall” wird dem Hund eine aktive, aggressive Rolle zugesprochen. Fett darunter, geschickt als Zitat getarnt, steht: “Alle hier haben Angst”. Dies erzeugt doch bereits ein gewisses ungutes Gefühl beim Leser. Das Foto etwas weiter unten zeigt einen (oder den?) Hund, leicht von oben aufgenommen, sodass der mächtige Kopf betont wird, der Schatten, der weiter links zu sehen ist, lässt die Größe des gesamten Tieres erahnen. Der Blick des Hundes: direkt in die Kamera. Aufmerksam? Wachsam? Angriffslustig? Die Interpretation wird dem Leser überlassen. Alles dies ist dazu geeignet, bereits bevor relevante Informationen zum Vorfall aufgenommen werden können, ein diffuses Unbehagen, vielleicht sogar Angst zu erzeugen. Die Vorarbeit hierzu haben schließlich andere geleistet. Schreckliche Bilder von Opfern, aggressive Hunde, die quasi aus dem Nichts heraus angreifen. Dieses Kopfkino ist gelernt.
Inhaltlich beschränken sich die Informationen zum eigentlichen Geschehen auf das leider übliche: die Hunderasse (trägt die tatsächlich zur Erklärung bei?), das Alter und das Geschlecht des gebissenen Kindes, die Art der Verletzung und der Ort. Ein angeleinter Labrador-Mischlung hat auf einem Spielplatz ein zweijähriges Mädchen schwer ins Gesicht gebissen.
Viele Sätze werden darauf verwand, um die unterschiedlichen Meinungen, die mit Verlaub, alle schon mal irgendwie gehört wurden, darzustellen. Ganz zum Schluss wird dann noch auf ein Gutachten verwiesen, in einer Unterüberschrift (wieder ein Zitat) gleich als “absoluter Skandal” etikettiert. Das Gutachten kam zu dem Ergebnis, dass der Hund in einem Stresstest (genaueres wird nicht erläutert) mit einem Kind nicht auffällig gewesen wäre. Allerdings wird er als “Angstbeißer” bei Bedrängung eingestuft.
So, rufen Sie sich bitte nochmals kurz ins Gedächtnis: der Hund war an der Leine, als er zugebissen hat. Angeleinte Hund sind in ihrem Bewegungsradius stark eingeschränkt, d.h. sie können die Distanz zu einem angstauslösenden Objekt oder Menschen nicht frei wählen und fühlen sich daher schneller bedrängt, was einen Biss auslösen kann. Da über den tatsächlichen Ablauf nichts bekannt ist, könnte ich an dieser Stelle nur Vermutungen anstellen.
Was ich mir anstelle einiger wagen Detailinformationen, die kaum Erklärungsgehalt besitzen, wünschen würde, wäre eine kurze Beschreibung der Situation und des groben Handlungsablaufs mit einigen weiterführenden Erläuterungen:
Wie ging es dem Hund kurz vor dem Vorfall, war er bereits gestresst, als die Halter mit ihm den Spielplatz betreten haben (woran erkennt man überhaupt, ob sich ein Hund wohlfühlt oder nicht?)
Was haben die Halter gemacht?
Hat der Hund gedroht? (Wie reagiert man als Halter auf seinen drohenden Hund?)
Was hat das kleine Mädchen gemacht? Waren seine Eltern in der Nähe?
Wie verhält man sich in Gegenwart eines Hundes? Wodurch kann sich ein Hund bedroht fühlen? Wenn mein Kind sich einem fremden Hund nähern oder ihn streicheln möchte, was sollte hierbei beachtet werden?
Ein Artikel, der zumindest versucht auf solche Fragen Antworten zu geben, würde den Lesern echten Nutzen stiften. Nicht nur erzeugt er nicht den Eindruck, Hunde würden aus heiterem Himmel angreifen, noch würde er sinnlosen und sogar gefährlichen Diskussionen Auftrieb geben.
Sinnlos, weil nicht zielführend und gefährlich, weil z.B. die Diskussion über Listenhunde und deren Gefährlichkeit in der breiten Bevölkerung dazu geführt haben, dass Hunde eines bestimmten Typs als gefährlich wahrgenommen werden, während andere, wie zum Beispiel der Golden Retriever als bedenkenloser Familienhund gelten.
Den Nutzen einer anderen Berichterstattung sehe ich vornehmlich darin, dass vielleicht nicht nur bei den Hundehaltern ein anderes Gefahrenbewußtsein entsteht, sondern auch bei den Eltern. Mir geht es hier keineswegs um eine Schuldzuweisung in die eine oder andere Richtung. Im Gegenteil. Als Mutter von drei Jungs, die nur wenig älter sind, empfinde ich aufrichtiges Mitleid mit dem kleinen Mädchen und dessen Eltern.
Aber was sich leider auch oft beobachten lässt, ist ein gewisse Sorglosigkeit im Umgang von kleinen Kindern und Hunden, sowohl bei den Hundehaltern als auch bei den Eltern. Beide sind in der Verantwortung, genau zu beobachten und gegebenenfalls einzugreifen, und zwar bereits dann, wenn einer von beiden sich nicht mehr wohlfühlt. Das berühmte “das muss der abkönnen” ist grob fahrlässig.
Eltern investieren viel Zeit und Mühe, ihren Kindern ein richtiges Verhalten im Strassenverkehr beizubringen. Kleine Kinder werden an die Hand genommen, wenn sie eine Strasse überqueren möchten, d.h. die Mutter befindet sich in unmittelbarer Nähe. Bei größeren ist die Mutter immer noch mit voller Aufmerksamkeit dabei und sogar mit Schulkindern wird ein Schulweg eingeübt, weil selbst mit 6 Jahren sie noch nicht alle Gefahren vorausschauend vermeiden können. Einen ählichen Umgang mit Hunden zu erreichen, würde weit mehr zur Sicherheit beitragen, als alle Verordnungen zusammen.
Die Autorin ist Verhaltensberaterin für Hunde - und Mutter von drei Kindern.
Schön auf den Punkt gebracht und konstruktiv: danke dafür. Schade, dass sogar die SZ sich auf die Niveaulosigkeit der BILD herabgelassen hat.
Gut geschrieben! Trauriger Vorfall aber noch viel traurigere Berichterstattung der SZ. BILD dir deine Meinung