1994 wurde der Umweltschutz als Staatsziel ins Grundgesetz aufgenommen. 2002 wurden beim Artikel 20 a drei Worte eingefügt: und die Tiere. Der Artikel 20a lautet jetzt:
Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.
Man fragt sich: Hat sich wirklich seitdem etwas zu Gunsten der Tiere verändert? Wurde dadurch die Massentierhaltung gestoppt oder die Käfighaltung bei Hühnern verboten? Nein. Gemeint ist im Artikel 20a der ethische Tierschutz. Tierschutz ist ein Staatsziel wie der Umweltschutz. Subjektive Rechte für den einzelnen Bürger lassen sich daraus nicht ableiten. Klagen gegen Verstöße und Verfassungsbeschwerden sind nicht möglich. Der Staat hat sich verpflichtet. Und der Staat sind genaugenommen wir alle, nicht nur Türschützer.
Tiere sind rechtlos
Der Philosoph Arthur Schopenhauer übt scharfe Kritik an der Rechtlosigkeit der Tiere. Er führt diesen Mangel auf das Dogma von der gänzlichen Verschiedenheit von Mensch und Tier zurück, das dem Schöpfungsritus des Alten Testaments entstammt und vom Christentum übernommen wurde. (1. Buch Moses – Die Schöpfungsgeschichte)
Und Gott segnete sie; und Gott sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehrt euch und füllt die Erde und macht sie euch untertan; und herrscht über die Fische im Meer und über die Vögel des Himmels und über alles Lebendige, das sich regt auf der Erde!
Schopenhauer schreibt:
Dieser sich selber legitimierende göttliche Ursprung gewährt die Behandlung der Tiere als >totale Nullität< mit dem Ziel, ihnen das letzte Mark aus ihren Knochen zu arbeiten. Der Grundfehler ist eine Schöpfung aus nichts, nach welcher der Schöpfer, Kap 1 und 9 Genesis (1.Buch Moses), sämtliche Tiere, ganz wie Sachen und ohne alle Empfehlung zu guter Behandlung, wie sie doch meistens selbst ein Hundeverkäufer, wenn er sich von seinem Zögling trennt, hinzufügt, dem Menschen übergibt, damit er über sie herrsche, also mit ihnen tue, was ihm beliebt ( … ). Aber leider machen die Folgen davon sich bis zum heutigen Tage fühlbar, weil sie auf das Christentum übergegangen sind, welchem nachzurühmen, dass seine Moral die allervollkommenste sei, man eben deshalb ein Mal aufhören sollte. Sie hat wahrlich eine große und wesentliche Unvollkommenheit darin, dass sie Vorschriften auf den Menschen beschränkt und die gesamte Tierwelt rechtlos hält. (P II, § 177, 393f)
Arthur Schopenhauer, der Immanuel Kant schätzte, distanzierte sich von Kant und dessen christlicher Sicht des Menschen als Herrscher über alle Lebewesen auf der Erde. Bei Kant sind Tiere keine „Mitgenossen der Schöpfung“, sondern dem menschlichen Willen unterworfene Mittel und Werkzeuge (Kant 1797, Metaphysik der Sitten).
Der englische Utilitarist Jeremy Bentham (1748 – 1832) hält auch dagegen:
Es mag der Tag kommen, an dem man begreift, dass die Anzahl der Beine, die Behaarung der Haut oder das Ende des Kreuzbeins gleichermaßen ungenügende Argumente sind, um ein empfindungsfähigen Wesens dem gleichen Schicksal zu überlassen.
Warum soll sonst die unüberwindbare Grenze gerade hier liegen? Ist es die Fähigkeit zu denken oder vielleicht die Fähigkeit zu reden? Aber ein ausgewachsenes Pferd oder ein Hund sind unvergleichlich vernünftigere sowie mitteilsamere Tiere als ein einen Tag, eine Woche, oder gar einen Monat alter Säugling. Aber angenommen dies wäre nicht so, was würde das ausmachen? Die Frage ist nicht ‘Können sie denken?’ oder ‘Können sie reden?’, sondern ‚Können sie leiden?’. Warum soll das Gesetz es ablehnen, empfindungsfähige Wesen zu schützen? Die Zeit wird kommen, in der die Menschheit ihren schützenden Mantel über alles, was atmet, erweitert …(Jeremy Bentham: An Introduction to the Principles of Morals and Legislation (1789))
Tierschutz heute
Der Tierschutz bezieht sich in erster Linie auf die Leidensfähigkeit von Tieren und auf das Vermeiden von Leiden. Im §1 Tierschutzgesetz heißt es:
Zweck dieses Gesetzes ist es, aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen. Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.
Der Gesetzgeber lässt Ausnahmen zu:
Schächten
So nennt man das betäubungslose Schlachten von Wirbeltieren, was nach $ 4a Naturschutzgesetz verboten ist.
Die Behörden können Ausnahmen zulassen, als Zugeständnis an bestimmte Religionsgemeinschaften.
Jagd
Jäger behaupten von sich, dass sie Tierschützer seien. 300.000 Hobbyjäger und einige tausend Berufsjäger, die für begüterte Jagdherren arbeiten, erlegen jährlich fünf Millionen Wildtiere: Rehe, Hirsche, Hasen, Füchse, Marder, Enten und Wildgänse. „Der Wald ist die Schießbude der Nation“ (SWR-Fernsehen – Odysso 8.4.2010).
Die Jagd ist von den Bestimmungen des Tierschutzgesetzes weitgehend ausgenommen. Zu offensichtlich ist der Verstoß gegen die Schutzziele des Gesetzes. Auch bis zu 400.000 Katzen und 45.000 Hunde fallen der Jagdwut alljährlich zum Opfer
schreibt der Deutsche Tierschutzbund in seiner Broschüre„Tierschutz: Anspruch und Wirklichkeit“, Bonn 2009, ISBN 9783924237165.
Tierschutzhundeverordnung
Die Verordnung vom 20.5.2001 – geändert 19.4.2006 – gilt bundesweit und regelt das Halten und Züchten von Hunden.
§ 2 Allgemeine Anforderungen an das Halten
(1) Einem Hund ist ausreichend Auslauf im Freien außerhalb eines Zwingers oder einer Anbindehaltung sowie ausreichend Umgang mit der Person, die den Hund hält, betreut oder zu betreuen hat (Betreuungsperson), zu gewähren. Auslauf und Sozialkontakte sind der Rasse, dem Alter und dem Gesundheitszustand des Hundes anzupassen.
Am Beispiel „genereller Leinenzwang“, den viele Gemeinden verordnen, lässt sich gut aufzeigen, dass hier ein Verstoß gegen die Tierschutzhundeverordnung vorliegt, wie auch die Oberverwaltungsgerichte Lüneburg und Münster entschieden haben.
Hat der Tierschutz eine Zukunft?
Leider ist Tierschutz ist für viele Bürger kein Thema. Verfassung und Verfassungswirklichkeit: Der gesetzliche Anspruch und die Wirklichkeit klaffen weit auseinander. Die Tierschutzorganisationen BUND, Nabu, WWF und Greenpeace haben hehre Ziel, sind aber wegen der Praxis des Spendensammelns (Fundraising) und der Zusammenarbeit mit den Spendern arg ins Gerede gekommen (Fernsehsendung Panorama 20.8.2011). Aus Protest gegen die Machenschaften des BUND ist der Mitbegründer Enoch zu Guttenberg zurückgetreten (DIE ZEIT 16.5.2012).
Tierschutzgesetz ändern?
Die Bundestagstagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen hat 2009 einen Gesetzentwurf zur Neufassung des Tierschutzgesetzes vorgelegt und hofft, dass sie 2013 in einer Regierungsbeteiligung ihre Vorstellungen realisieren kann, wie zum Beispiel:
- Verbot des der betäubungslosen Ferkelkastration
- Verbot der Käfighaltung bei Hühnern
- Beschränkung der Schlachttransporte
- Verbot von wilden Tieren im Zirkus.
Fazit: Es muss viel passieren, wenn es besser werden soll. Doch zuerst muss man es auch wollen, dann kommt der lange Atem und die harte Arbeit.
Foto: © Kitty