Im ersten Teil hatten wir schon angedeutet, dass es den Hund mindestens seit 20.000 Jahren gibt. Die Hundwerdung des Wolfes war vermutlich ein lang andauernder Prozess, jedenfalls kein abrupter. Viele Wissenschaftler (zum Beispiel die Genetiker Savolainen, Boyko, Parker, Ostrander, Wayne) halten es durchaus für möglich, dass es an verschiedenen Orten, zu verschiedenen Zeiten unabhängig voneinander zu einer Domestikation des Wolfes, der dann Hund geworden war, kam. Aber auch das sind nur Vermutungen, wenn auch begründete.
Zwei Fakten und nur indirekte Hinweise zu den ersten Jahren
Diese 20.000 Jahre Hund als zeitliche Untergrenze des gemeinsamen Weges mit dem Menschen, kann man inzwischen als gesichert, als Stand der Wissenschaft ansehen. Alle neueren Erkenntnisse der Archäologen wie auch der Genetiker unterstützen das. Darüber hinaus gilt als gesichert, dass allein Lupus lupus, der Wolf oder im Englischen “Grau-Wolf”, der Ahne des Hundes war und vermutlich auch der einzige Ahne aller unserer heutigen Hunde. Es ist nicht auszuschließen, dass auch mal ein Rotwolf oder Schakal mitgemischt hat, aber das, ohne nennenswerte Spuren beim heutigen Hund zu hinterlassen. Warum und wie der Mensch auf den Hund kam oder der Wolf auf den Menschen kam, ist eine wesentlich komplexere Frage. Direkte Beweise oder gesicherte Erkenntnisse gibt es bisher nicht. Man kann nur Rückschlüsse aus anderen, einigermaßen fundierten Kenntnissen schließen. Und diese Hinweise zum Hund erhalten wir vom Menschen, von unseren Ahnen.
Paläolithischer Hundeschädel, 31.700 Jahre alt, ausgegraben in Belgien in einer Höhle oberhalb der Maas. Die Archäozoologen sind sich noch nicht einig, ob es nicht doch eher ein Wolf war. (c) Royal Belgian Institute of Natural Sciences – mit freundlicher Genehmigung von Mietje Germonpré
Die Lebensweise der Cro-Magnon-Menschen
Allerdings sind die Kenntnisse über die Lebensweise unserer Ahnen aus der Altsteinzeit vor mehr als 12.000 Jahren noch sehr unvollständig. Doch gerade die Kenntnis der Lebensweise der Cro-Magnon-Menschen würde uns ein solides Fundament geben zur Beantwortung unserer Frage geben.
Das Wissen um die Lebensweise in der Steinzeit ist hier in meinen Augen noch bedeutender, als die Kenntnis des Wolfes. Denn der Hund wurde ausschließlich durch die Nähe, durch seinen Bezug zum Menschen geschaffen und umgeformt. Und das waren die Menschen in der Altsteinzeit. Wir müssen also solchen Fragen nachgehen: Wie haben unsere Vorfahren gejagt, wie waren die sozialen Strukturen, wie war ihre Sicht zur Natur, zu den Tieren, zur Erde, zu einem Leben nach dem Tod? All das könnte uns eine Vorstellung geben, warum und wie ein engeres Verhältnis zu Wölfen entstand, das schließlich so intensiv wurde, dass hieraus der Hund hervorging. Wir wissen auch, dass die Menschen dieser Zeit hauptsächlich Jäger und Sammler waren, dass sie in kleinen Familienverbänden, den Clans, lebten. Bauwerke schufen sie noch nicht, zumindest keine, die heute nachweisbar wären. Aber sie hatten durchaus Kultur. In der Schwäbischen Alb fand man erstaunlich gut erhaltene Kunstwerke wie eine Venus-Figur und eine kleine Flöte aus Geierknochen, deren Alter auf 35.000 bis 40.000 Jahre datiert wird. Viele Belege sprechen für ein hohes Ansehen der Tiere und namentlich auch des Wolfes und des Bären in Denkweise und Weltbild der Steinzeitmenschen. Aus praktisch allen steinzeitlichen Kulturen der nördlicheren Breiten sind Bären- und Wolfskulte bekannt. Man könnte das als Hinweis darauf interpretieren, dass die Menschen diese Beutegreifer als Wettbewerber um die Resourcen der Natur auf Augenhöhe ansahen. Wenn man jemand auf Augenhöhe sieht, kann aus dem Gegner auch ein Partner werden. Der Wolf war bestens für eine solche Partnerschaft geeignet. Es gibt etliche Höhlenmalereien, die Jagdszenen mit Hunden darstellen. Aber diese sind meist bedeutend jünger, “erst” 10-15.000 Jahre alt und damit aus einer Zeit, als der Hund bereits lange entstanden war.
Die Lebensweise der Wölfe
Natürlich brauchen wir auch die Kenntnis von der Lebensweise der Wölfe.
Biologisch gesehen gehören alle Hunde zur Familie der Canidae mit ihren 36 Arten. Fuchs, Marderhund, Kojote und Schakal zählen hierzu, wie auch der Wolf. Den Hund kann man zoologisch als Unterart des Wolfes bezeichnen. Wölfe sind eine besondere Art der Caniden, denn sie verfügen über ein hoch entwickeltes soziales Leben wie sonst nur wenige Arten der höheren Säugetiere überhaupt. Wölfe jagen dieselbe Beute wie die Menschen der Steinzeit und sie haben ähnliche, kollektive Jagdtechniken.
Wölfe und Menschen haben sich über tausende Jahre hinweg mit Respekt gegenüber gestanden, lebten im gleichen Lebensumfeld und kannten sich gegenseitig bestens. Wölfe wussten von der Gefahr durch den Zweibeiner und die Menschen umgekehrt. Es wird immer wieder zu Begegnungen gekommen sein, alleine schon wegen derselben Nahrungsquellen im selben Siedlungsgebiet und Jagdrevier. Mal vertrieb ein Clan der Steinzeitjäger den Wolf vom Riss, mal blieb das Wolfsrudel der Sieger.
In langjährigen Beobachtungen an frei lebenden Wölfen in Kanada hat Günther Bloch eine Beziehung zwischen bestimmten Wolfsgruppen und Raben beobachtet. Über Generationen hinweg sozialisieren sich Wölfe und Raben gegenseitig. Die Raben spielen für diese Wölfe eine Art Aufklärung und zeigen weitflächig ein verendetes Stück Wild an. Ihr Wolfsrudel hat nun eine große Chance, als erster Fresser am Aas zu sein. Dafür erhalten die Raben einen Anteil am Hirschen oder Elch, den die Wölfe wiederum gegen Kojoten und Geier verteidigen. Die Fähigkeit der Wölfe zu zwischenartlicher Interaktion ist hier also nachgewiesen wie auch deren praktische Anwendung im Überlebenskampf der Natur zum beiderseitigen Vorteil. Und der Mensch steht dem Wolf zoologisch und vom Verhalten her noch wesentlich näher als der Rabe dem Wolf.
Die Lebensweise der Orkas
Machen wir einen kurzen Ausflug in die Weltmeere. Bestimmte Schulen der Schwertwale haben sich zur Angewohnheit gemacht, Fischern den Fang zu stehlen. Die Fischer Gibraltars können hiervon ein Lied singen. Kaum ziehen sie die an langen Angeln gefangenen Thunschfische ins Boot, schnappen ihnen die Orkas den Fang weg. Manche Schulen dieser Wale sind so klever, dass sie bis kurz vor der Wasseroberfläche warten, wenn der Thunfisch bereits weitgehend erschöpft ist, um dann die besten Stücke herauszubeißen. Und nur ganz bestimmte Schulen der Orkas praktizieren diese Technik und zwar unabhängig voneinander an verschiedenen Stellen im Mittelmeer, wie auch tausende Kilometer entfernt an der Pazifikküste Kanadas. Von Orkas weiß man, dass sie in ihren unterschiedlichen Subpopulationen regelrechte Kulturen samt Sprachen entwickelt haben, die über individuelles Lernen an die nächsten Generationen weitergegeben werden.
Auch wenn die Praxis mancher Orka-Kulturen recht einseitig zu Lasten der Fischer geht, so zeigt sich doch zweierlei für die Beantwortung unserer Frage zum Hund: Zum einen können intelligente Beutegreifer durchaus erlernen, sich an der Jagd und den Erfolgen der Jagd des anderen systematisch zu bedienen und zum zweiten können sich innerhalb einer Art unterschiedliche “Kulturen” einer solchen Praxis entwickeln. Es ist also durchaus denkbar, dass bestimmte Gruppen von Wölfen eine Kultur der Interaktion mit bestimmten Clans der Menschen entwickelt haben und umgekehrt. Die Menschen profitierten von den überragenden, weit überlegenen Sinnesleistungen der Wölfe. Wölfe können um ein Vielfaches besser Riechen und auch bei Dunkelheit besser Sehen. Die Wölfe mögen von den weit überlegenen intellektuellen Leistungen des Zweibeiners profitiert haben. Vielleicht war diese Interaktion zunächst von Konkurrenz geprägt und keineswegs freundlich. Nach und nach erkannten beide Seiten den beiderseitigen Vorteil. Zudem schützte man sich letztlich gegenseitig, die Wölfe den Clan und der Clan “seine” Wölfe vor anderen Wölfen, Bären und feindlichen Clans der Menschen. Es könnte sogar sein, dass der Mensch durch die Nutzung der Sinnesleistungen der Wölfe mit der Zeit selbst Resourcen seines Gehirns hiervon abgezogen und zur Entwicklung seiner Cortex, seiner intellektuellen Leistungen umgewidmet hat.
Das Missing Link der Kynologie
Kommen wir noch einmal zurück auf die Höhlenmalereien. Der hier immer wieder dargestellte, frühe Hund war schon lange kein Wolf mehr. Er beherrschte bereits die unterschiedlichen Techniken der gemeinsamen Jagd mit seinen Menschen. Er hatte hierbei verschiedenartige Rollen zu erfüllen. Zum einen sollte das Wild in einer Hetz- oder Treibjagd in einen Hinterhalt oder gegen eine Felswand getrieben werden. Solche Jagdszenen zeigen die meisten Felszeichnungen. Man fand im heutigen Nordosten Syriens sogar Reste von Fanganlagen für Treibjagten auf Antilopen, bei denen Hunde eine wesentliche Rolle spielten. Die 12.000 Jahre alte Felsenmalerei in der Cueva Vieja in Spanien zeigt einen Hund, der gezielt den Fluchtweg eines bejagden Hirsches versperrt. Hier wird bereits ein Verhalten gezeigt, das er später auch als Hütehund zeigen muss: Den Fluchtweg der Schafherde verstellen. Als Jagdhelfer musste er dem Wild den Weg abschneiden, es umkreisen, in eine bestimmte Richtung treiben. Er durfte sich keinesfalls von dannen machen und auf eigene Faust jagen. Er brauchte also bereits die Fähigkeit zu einer intensiven Kommunikation mit dem Menschen. Er musste schon das eigene Jagdglück der zweibeinigen Jägertruppe unterordnen. Er musste den Menschen bereits als sein Rudel, seine Heimat fühlen. Er musste bereits die große Fluchtdistanz des Wolfes vollständig überwunden und auf Rangkämpfe im Menschenrudel verzichten gelernt haben. Solches Verhalten konnte sich nicht über Nacht herausgebilden. Was war also davor? Was war zwischen den Hunden in den Höhlenmalereien und den wilden Wölfen. Es ist das Missing Link der Kynologie.
Einige Überlegungen hierzu gibt es. Manche gibt es schon sehr lange. Es ist dabei zu fragen, wie ein Hund, der den Zugang zum Menschen über eine Rolle als Müllabführ (Coppinger), als Spielgefährte der Kinder (Zimen) oder lediglich zur Fleischproduktion (Savolainen und Pang) gefunden hatte, nun in die komplexen Rollen als Jagdhelfer und nur kurze Zeit später als Hirtenhund finden konnte. Doch dazu mehr im nächsten Teil, wo wir uns mit verschiedenen Theorien zur Hundwerdung des Wolfes auseinandersetzen werden. Und wir werden sehen, dass sich die verschiedenen Ansätze durchaus nicht ausschließen müssen. Die Frage bleibt allerdings, was genau die Triebkraft, das entscheidende Bindeglied für die Entstehung dieser besonderen Partnerschaft auf 6 Beinen war.
Siehe auch Fortsetzung und Teil 2 im August:
UNSERE GESCHICHTE AUF 6 BEINEN –
Wie der Mensch auf den Hund kam (Teil 2 von 2)
Warum der Mensch auf den Hund kam?
War es – ein vom Menschen aufgenommenes Wolfswaise, das zahm und zum Urvater/-mutter der Hunde wurde (Allgemeingut, Zimen)
- die willkommene Müllabführ nach der Sesshaftwerdung der Menschen (Coppinger)
- die Haltung von Wölfen zur Fleischproduktion (Savolainen und Pang)
- oder was war die Triebfeder, dass Wolf und Mensch zusammen kamen?
Siehe auch: Unsere Geschichte auf 6 Beinen
Christoph Jung ist Psychologe, studierte Biologie, Initiator des Dortmunder Appell für eine Wende in der Hundezucht und Autor des Schwarzbuch Hund, Die Menschen und Ihr bester Freund!
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